Vegan in der Essstörungs-Recovery: Geht das?
Vorweg: Der Begriff „recovery“ wird auch im Sport genutzt, um die Regenerationszeit nach einem intensiven Training zu beschreiben. In diesem Fall geht’s es aber um die Genesung von Essstörungen.
Wird nach monate- oder jahrelangen Leiden in der Krankheit der Mut gefunden, die ersten Schritte zurück in ein befreites und selbstbestimmtes Leben zu gehen, steht bei nicht wenigen die Frage im Raum, ob eine vegane Ernährung in der Recovery möglich und vor allem sinnvoll ist. Welche Hindernisse gibt es? Gibt es Vorteile? Wie kannst du die richtige Entscheidung treffen?
Da dieser Beitrag vor allem auch meine eigenen Erfahrungen und Gedanken widerspiegelt, liegt der primäre Fokus auf die Heilungsphase von Magersucht. Für Bulimie und die vielen Zwischenformen gelten aber ähnliche Punkte.
Medizinischer Disclaimer: Essstörungen sind multifaktorielle psychische Erkrankungen, die von vielen Faktoren beeinflusst werden. Im folgendem Artikel liegt der Fokus auf die Ernährung. Es sind allgemeine Ratschläge, die keine medizinische Beratung oder Behandlung ersetzen können.
Geschrieben für…
Geschrieben für Betroffene: Du hast es satt, dass dir Gedanken an Kalorien, Bewegung und Körperidealen Freude und Genuss stehlen?
Obwohl du weißt, dass es schwierig wird, bist du bereit deine Essstörung hinter dir zu lassen, um nicht länger nur zu exzitieren sondern das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen zu spüren? Aber du fragst dich, was der beste Weg ist? Ob du dich auch weiterhin vegan ernähren sollst/kannst? Du bist verunsichert und suchst nach Antworten und Orientierung?
Ich kann dir weder den Masterplan noch eine klare Antwort auf deine Fragen geben. Nur du kannst wissen, was richtig für dich ist. Dennoch möchte ich im Folgenden auf einige Punke eingehen, die dir bei deiner Entscheidung helfen können.
Geschrieben für Angehörige: Den eigenen Kind, der Schwester, den Bruder oder Freunden dabei zuzuschauen, wie sie sich Stück für Stück durch Hungern, Erbrechen und Sport selber zerstören ist schrecklich. Umso größer ist der Wunsch sie bei ihrer Genesung mit allen Kräften zu unterstützen. Auch für euch ist der Text, damit ihr eure Familienmitglieder und Freunde etwas besser versteht und ihnen so helfen könnt, wie sie es wirklich brauchen.
Geschrieben für Alle: Bis auf ein paar glamourös inszenierte Fälle von Essstörungen bei Prominenten, sind Magersucht, Bulimie und Co. auch weiterhin Tabuthemen. Als Folge entstehen zahlreiche Mythen und Missverständnisse. Damit der Maschinerie der Vorurteile der Treibstoff entzogen wird und wir gemeinsam in einer offene und unterstützende Gesellschaft leben können.
Vegan in der Recovery: Wo stehst du?
Vegan nach der Essstörung
Ständiger Hunger, frieren zu jeder Jahreszeit, Kraftlosigkeit und Depressionen….
Anders als es nach außen oftmals scheint, ist das Hungern keine freiwillige Entscheidung von Magersüchtigen. Ausgelöst durch die Angst zuzunehmen, Gefühle wieder spüren zu können und die Kontrolle zu verlieren, übernimmt die Stimme der Essstörung bereits nach kurzer Zeit das Ruder. Sobald Betroffene anerkannt haben, dass sie krank sind, ist der Wunsch groß wieder gesund zu werden.
In der Regel haben die Erkrankten aber weiterhin starke Angst Gewicht zuzunehmen und die Kontrolle über ihr Essen und ihren Körper aufzugeben. In der Hoffnung auch weiterhin extrem dünn bleiben zu können, versuchen sie in einer Quasi-Recovery ihre Kalorienzahl minimal zu erhöhen. Wenn überhaupt eine Gewichtzunahme akzeptiert wird, soll diese nur durch „gesunde Lebensmittel“ erfolgen. In Kombination mit orthorektischen Verhalten sehen viele Betroffene in einer veganen Ernährung die perfekte Lösung. Energiedichte Lebensmittel wie Käse, Pizza oder Schokolade entfallen. Stattdessen viel Gemüse, kalorienarmes Obst und vollwertiges Getreide. Oft Kombiniert mit Clean Eating und regelmäßigen Kraftsport.
Offensichtlich wird die vegane Ernährung dabei nur als Ausrede genutzt, um sich auch weiterhin einzuschränken.
Vegan vor der Essstörung
Anders sieht die Situation aus, wenn du bereits vor deiner Essstörung vegan gelebt hast. Der ausschlaggebende Unterschied ist die Motivation. Lebst du vegan, weil du die Ausbeutung und Quälerei von Tieren vermeiden willst, die Umwelt schützen möchtest und/oder dich mit Messer und Gabel für weltweite Ernährungsgerechtigkeit einsetzt?
Es gibt viele Gründe für eine vegane Ernährung. Klar unterscheiden solltest du zwischen etischen und gesundheitlichen.
Hast du dich vor oder in der Essstörung aus gesundheitlichen Gründen für eine rein pflanzliche Ernährung entschieden, solltest du dich selbst hinterfragen, ob nicht beides untrennbar miteinander verwoben ist.
Es kann sein, dass die Entscheidung zum Veganismus und der Beginn der Essstörung auch unabhängig voneinander zur gleichen Zeit aufgetreten sind.
Magersucht entwickelt sich oftmals in der Jugend. Eine Zeit mit deutlichen Umbrüchen, in der viele Veränderungen anstehen.
Persönlich fiel der Anfang meiner Essstörung ungefähr in die Zeit, als ich mich entschlossen hatte, kein Fleisch mehr zu essen, weil ich Tiere liebe.
Umso wichtiger ist es, sich in diesem Fall selber genau zu hinterfragen.
Sei ehrlich zu dir!
Der absolut wichtigste Ratschlag für dich: Sei ehrlich zu dir!
Nur du kannst wissen, ob du die vegane Ernährung als Werkzeug deiner Essstörung nutzt, oder ob du überzeugt von den positiven ethischen Folgen des Veganismus bist. Da ich selber den starken Einfluss der Krankheit auf die Gedanken kenne, ein paar Tipps, wie du dich am besten hinterfragen kannst:
Vegan in der Recovery: Werkzeuge zur Selbstreflexion
Dein Ziel: Was bedeutet Heilung?
Es gibt keine Zahlen. Du bist nicht nach 1 Jahr gesund. Du bist auch nicht mit einem BMI von 20 gesund.
Es wird vermutlich irgendwann ein Punk in deinem Leben kommen, an dem du merkst, dass du dich frei fühlst und deine Essstörung hinter dir lassen konntest. Einen Moment in dem du unbeschwert ein Stück Kuchen genießt, ein Picknick mit Freunden machst oder den gesamten Tag gemütlich im Bett verbringst, ohne dich schuldig zu fühlen. Aber die Genesung von einer Essstörung ist ein Weg dessen Ziel du dir zwar gedanklich ausmalen kannst aber, dass du angekommen bist, wirst du nur fühlen können.
Dennoch gibt es drei entscheidende Faktoren. Ohne diese geht es nicht!
- Du isst uneingeschränkt und ohne Schuldgefühle. Nicht deine Krankheit, sondern du bestimmst was du essen möchtest.
- Akzeptiere das individuelle Wohlfühlgewicht deines Körpers. Dieses Gewicht wird garantiert über einem BMI von 19 liegen.
- Du versorgst deinen Körper und deinen Geist mit allem notwendigen. Genug Energie, Ruhe, soziale Kontakte und vor allem Selbstmitgefühl.
„Wer nicht weiß, wohin er will, der darf sich nicht wundern, wenn er ganz woanders ankommt“ (Mark Twain)
Ein Wunder
Klar, du willst aus der Krankheit raus. Aber wohin willst du eigentlich? Wohin soll DEINE Reise gehen?
Eine Möglichkeit, um dein Ziel und damit auch deinen Weg besser greifbar zu machen ist die Wunderfrage. Ausgeliehen aus der systemischen Psychologie ist es eine einfach Übung, die etwas Licht ins Dunkle bringt:
Stell dir vor, über Nach geschieht ein Wunder. Plötzlich verschwinden alle deine Probleme.
Am nächsten Morgen wachst du auf. Da du tief und fest geschlafen hast, weißt du noch gar nichts von dem Wunder.
Wie würdest du das Wunder bemerken? Was wäre anders? Wie würdest du dich jetzt verhalten? Wie gestaltet sich dein Tagesablauf? Was gibt es zu essen? Wie fühlst du dich?…
Lebenslinie
Was bedeutet Gesundheit für dich? Weiter oben habe ich einige allgemeine Punkte aufgezählt, die mit der Genesung von einer Essstörung verbunden sind. Aber das sind nicht deine Ziele. Entscheidend ist, was Heilung für dich bedeutet! Nützlich für die Erforschung deiner eigenen Ziele, ist eine Lebenslinie.
Du schnappst dir ein Blatt Papier und malst eine lange Linie darauf. Vorne bei 0 Prozent steht „Krankheit“. Am Ende der Linie mit 100 Prozent „Gesundheit“.
Jetzt machst du ein Kreuz, an der Stelle, wo du dich zurzeit befindest. Überlege dir warum du dich gerade dort befindest. Was würde 1 Prozent Verbesserung für dich bedeutet? Würdest du dich anders verhalten? Und wenn ja, wie?
Ich nenne dir bewusst keine Beispiele, weil das deine ganz eigene Lebenslinie ist und nur du weißt, wie dein Leben ohne Krankheit aussehen soll.

Abrechnung
Kurz und bündig: Wo schränkt dich die vegane Ernährung ein? Auf einer Skala von 0 Prozent für gar nicht bis 100 Prozent für vollkommene Einschränkung.
Klassisch: Pro & Contra
Die einfachste Möglichkeit ist eine klassische Pro und Contra Liste. Der Vorteil ist, du kannst sie schnell anfertigen. Der Nachteil ist, du kannst sie schnell anfertigen. Besser ist es, wenn du dich intensiver mit deinen Gedanken auseinandersetzt und anschließend noch einen Fließtext schreibst. Das muss kein literarisches Meisterwerk werden und du musst auch nicht an einen Tag fertig werden.
Überlege dir eine Zukunftsperspektive. Wie würdest du dich fühlen, wenn du nicht mehr vegan lebst aber gesund bist. Wie stellst du dir dein Leben als Veganer*in ohne Essstörung vor. Überlege dir verschiedene Zukunftsszenarien und welcher Mensch du gerne sein willst.
Die Entscheidungswaage
Auf deiner Pro- und Contra-Liste stehen jetzt unterschiedliche Faktoren, die für bzw. gegen die vegane Ernährung sprechen. Einfach zu zählen auf welcher Seite mehr steht ist sinnlos und führt dich nicht zum Ziel.
Schnapp dir wieder einen Blatt Papier und deine Liste. Auf das Blatt malst du eine Waage. Gib anschließend den einzelnen Punkten auf deiner Liste ein Gewicht. 1 Kilogramm bedeutet der Faktor fällt wenig ins Gewicht/ist unwichtiger. 10 Kilogramm sind das Maximum. In die eine Waagschale legst du alle negativen Faktoren. In die andere Waagschale kommen alle Faktoren, die dafür sprechen dich auch weiterhin vegan zu ernähren. Welche Seite hat für dich mehr Gewicht?
Dein eigener Freund sein
Hast du eine Pro-Contra-Liste bzw. einen Text mit den Vor- und Nachteilen der veganen Ernährung für dich angefertigt, überlege was du deiner besten Freundin/deinen besten Freund raten würdest. Oftmals sind wir zu anderen Menschen freundlicher als zu uns selbst. Eine Außenperspektive auf deine Gedanken ermöglicht dir eine ehrliche Auseinandersetzung.
Reden ist Gold
Natürlich ist der erste Schritt, dass du dich selbst mit deinen Gedanken und Gefühlen beschäftigst. Im Anschluss kann es aber außerordentlich hilfreich sein, jemanden davon zu erzählen. Du kannst dich selbst nochmals reflektieren und eventuell eine andere Perspektive auf deine Probleme bekommen. Wichtig ist, dass alleine du weißt, was für dich das Richtige ist. Trotzdem ist die Unterstützung durch Freunde, Familie oder externen Fachpersonen (Ernährungsberater*innen, Therapeut*innen etc.) eine wertvolle Ressource die du nutzen darfst.
Chi-Quadrat der Konsequenzen
Unglaublich, aber es gibt eine sinnvolle Verwendung des geliebten Chi-Quadrates. Zum Glück, brauchst du dafür kein Statistikkurs. Einfach das Quadrat auf einen Zettel malen und wie angegeben beschriften.
Der komplizierte Teil ist das Ausfüllen. Überlege dir welche kurz- und langfristigen Konsequenzen aus deiner Entscheidung entstehen dich nicht mehr vegan zu ernähren. Ordne sie in positive und negative Folgen.
Lass dir ruhig Zeit und nutze zum Ausfüllen auch die Ergebnisse der vorherigen Entscheidungshilfen. Im Anschluss hast du eine anschauliche Gegenüberstellung.
Das Chi-Quadrat der Konsequenzen kannst du auch für andere schwierige Entscheidungen nutzen.
Ein Experiment
Mach eine Vegan-Pause. Ja, es ist ein radikaler Vorschlag und du musst selber entscheiden, ob es für dich in Frage kommt.
Die Idee ist, dass du 1 Monat auf vegetarische oder omnivore Ernährung umsteigst. Nach dem Monat ziehst du Resümee, ob du dich damit besser gefühlt hast, ob sich etwas an deinen essgestörten Gedanken geändert hat (Schuldgefühle, Selbstzweifel, Perfektionismus…), ob sich dein Essverhalten verändert hat (mehr, vielseitiger, abwechslungsreicher, energiereicher…) oder du soziale Veränderungen spürst. Auch hier gilt selbstverständlich wieder: Sei ehrlich zu dir!
Vegan in der Recovery: Und jetzt?
Deine Gesundheit ist das Wichtigste!
Klar, sollten wir alle auf die Umwelt achten, freundlich und mitfühlend mit anderen Menschen umgehen und andere Lebewesen respektieren. Aber du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben!
In der Recovery ist es grundlegend, dass du deine körperliche und mentale Gesundheit als oberste Priorität anerkennst. Es hat nichts mit Egoismus oder Narzissmus zu tun, wenn du auf deine Bedürfnisse achtest und Entscheidungen so triffst, dass sie für dich am besten sind.
Konkret bedeutet das: Wenn es für deine Gesundheit wichtig ist, iss Käse, trinke Milch, brate dir ein Stück Fleisch…
Zugegeben Fällt es mir nicht leicht, solche Sätze zu schreiben. Ich liebe Tiere (nicht nur meine kleine Foxy) und die Umwelt ist mir verdammt wichtig. Ich weiß, dass unsere Zukunft auf der Erde auch durch unser Handeln und letztendlich durch das bestimmt wird, was auf unseren Teller landet.
Geht es dir ähnlich? Wenn ja, ist es umso wichtiger, dich selber an die erste Stelle in deinem Leben zu rücken. Du kannst nur nach deinen Werten handeln und leben, wenn du gesund bist.
Nach der Recovery
Entscheidest du dich in der Recovery, tierische Produkte in deinem Speiseplan zu integrieren, kannst du es jederzeit wieder ändern. Signalisiert dir dein Körper, dass er für eine Zeit Käse, Eier oder Fleisch braucht, solltest du auf ihn hören. Dein Körper muss heilen. In der Unterernährung hast du nicht nur dein Körperfett verloren. Organe haben sich abgebaut, Muskeln wie deine Blase und dein Herz sind geschrumpft, die Hormonproduktion wurde eingestellt, deine Haut und deine Haare sind dünner geworden bzw. ausgefallen und sogar deine Gehirnmasse hat sich reduziert.1
Um diese ganzen Schäden reparieren zu können benötigt dein Körper Energie, viele Nährstoffe, Ruhe und Zeit. Dabei kann nur dein Körper wissen, welche Nährstoffe er benötigt. Ob er zur Heilung gerade Fett, Proteine oder Eisen benötigt, zeigt er dir durch deinen Appetit.
Am Anfang kann es schwer sein, die Signale deines Körpers zu deuten. Vertraust du ihn und bist offen, wird es mit der Zeit leichter. Warum die bedingungslose Akzeptanz deines Hungers ein entscheidender Faktor deiner Recovery ist, kannst du hier nachlesen.
Nicht mehr vegan…
Du spürst, dass dich die vegane Ernährung zu sehr einschränkt und immer wieder essgestörte Gedanken triggert? Sich nicht vollständig pflanzlich zu ernähren, ist keine Schande. Auch wenn es ein paar einzelne extreme Veganer*innen gibt, die anderes behaupten.
Nochmals: Du bist das Wichtigste in deinem Leben! Essenziell ist, dass du dich mit deiner Entscheidung nicht schuldig fühlst. Du hast die richtige Wahl für deine Gesundheit getroffen. Und nur weil du dich nicht 100 Prozent pflanzlich ernähren kannst, gibt es nicht auch andere Dinge die sich positiv auf die Tiere, die Umwelt und die Gesellschaft auswirken.
Erstmal musst (und solltest) du nicht direkt mit einer Canivoren-Diät anfangen und dich nur noch von Fleisch ernähren. Vegan gelabelte Produkte sind nicht für hardcore Veganer*innen reserviert. Wenn dir Hafermilch schmeckt, genieß dein Kaffee mit Oatly und Co. und iss dazu deine Käsestulle. Belüge dich aber nicht selber, indem du immer die vegane Variante auswählst, die weniger Kalorien hat.
Veganismus umfasst weit mehr als die Ernährung. Greif bei Kosmetik, Putzmitteln und Kleidung zur tierfreundlichen Variante. Zudem kannst du dich entweder alleine oder noch besser in einer Gruppe/Verein auch aktiv für Tierrechte und Tierschutz einsetzen. Demos, Petitionen und Straßenaktivismus sind hervorragende Möglichkeiten, um den Stummen eine Stimme zu geben und für positive Veränderungen zu kämpfen.
Eine weitere Option gutes in der Welt zu bewirken (und sich damit auch selber gut zu fühlen) ist der Kauf fair produzierter Kleidung. Günstiger und eigentlich noch besser sind Secound-Hand Kleidungsstücke. Umweltfreundliches Verhalten kannst du in der Ernährung durch den Kauf von regionaler und saisonaler Bioware leben. Aber auch unabhängig von Essenseinschränkungen kannst du mit weniger Fernreisen, bewussterer Energienutzung und nachhaltigen Konsum die Umwelt schützen.
Es gibt selbstverständlich noch 1000 weitere Möglichkeiten. Probiere aus, wie du deine Werte leben kannst, ohne deine Gesundheit dabei zu riskieren.
Warum Vegan?
Zugleich ist die Entscheidung für den Veganismus in der Recovery weniger rational zu begründen als in anderen Situationen.
Fakt ist: Eine vegane Ernährung vermindert Tierleid, ist ein effektives Werkzeug im Kampf gegen die Klimaerwärmung und ermöglich weltweite Ernährungsgerechtigkeit. Darüber hinaus kann eine rein pflanzliche Ernährung auch für die Gesundheit vorteilhaft sein. Veganer*innen leiden im Durchschnitt unter anderem seltener an Bluthochdruck2, Diabetes3 und Gicht.4
Persönlich bin ich aber der Überzeugung, dass 3 Faktoren entscheidend für eine vegane Recovery sprechen:
- Keine Einschränkungen
Vegane Ernährung wird oftmals mir Einschränkungen und Verzicht gleichgesetzt. Schaust du dich allerdings in einem x-beliebigen größeren Supermarkt um, wirst du von der riesigen Auswahl veganen Alternativen für Käse, Wurst und Co. fast erschlagen. Für speziellere Wünsche kannst du auf das umfangreiche Sortiment von veganen Onlineshops zurückgreifen.
Zugegeben entspricht der Geschmack nicht im jeden Fall dem Original und die Inhaltsstoffe können ebenfalls abweichen. Grundsätzlich ist es aber nicht essgestört sich für einen veganen Käse statt einem „normalen“ zu entscheiden. Anders sieht es aus, wenn du verarbeitete Produkte generell meidest und stets zur kalorienärmeren Variante greifst.
Vegan in der Recovery bedeutet die bedingungslose Erlaubnis alles vegane zu essen. Von Reisschokolade über das Erbsenschnitzel bis zum veganen Döner.
Eine Anleitung wie du deine Lebensmittelängst besiegen kannst, findest du hier.
Und auch wenn du im Verlauf deiner Recovery Extremhunger spürst, kannst du zunächst sämtliche vegane Alternativen ausprobieren. Ist dein Verlangen nach beispielsweise Käse danach weiterhin vorhanden, kannst du immer noch zum „Original“ greifen.
Dich nicht mehr vegan zu ernähren bedeutet nicht automatisch eine Besserung deiner Essstörung. Du kannst dich auch weiterhin einschränken und den Schritt zur „normalen“ Ernährung als Tarnung.
- Lebe nach deinen Werten
Dir sind andere Lebewesen wichtig? Es liegt dir am Herzen die Umwelt zu schützen? Dich belastet der Gedanke, dass am anderen Ende der Welt Menschen hungern, weil in Deutschland Schweine mit ihrer Nahrung gemästet werden?
Das sind deine Werte. Sie sind ein wichtiger Teil deiner Persönlichkeit.
In meiner eigenen Recovery war es ein entscheidender Punkt, mir meine eigenen Werte bewusst zu werden und endlich nach ihnen zu handeln. Für mich haben Körperideale, Schönheit, Perfektionismus oder Disziplin keinen Wert. Anders sieht es aus mit meiner Liebe zu Tieren, meinen Wunsch auch weiterhin durch eine intakte Umwelt wandern zu können, der Hoffnung, dass es Menschen unabhängig davon wo sie leben gut geh, Toleranz, Mitgefühl, Offenheit…
Mit meiner Essstörung handelte ich klar gegen meine eigenen Werte. Der Veganismus hingegen ist für mich eine Möglichkeit nicht nur nach meinen wahren Werten zu handeln, sondern nach ihnen zu leben.
Sich in der Recovery auch weiterhin vegan zu ernähren, ist eine Herausforderung. Gleichzeitig kann dir das Wissen endlich nach deinen Werten zu handeln und nicht länger nach den Diktat deiner Essstörung, den Rücken stärken.
Veganismus bedeutet Mitgefühl. Auch mit dir! Jedes Leben ist wertvoll. Auch deines! Tiere müssen keine Aufgabe erfüllen oder für etwas nützlich sein, sie dürfen einfach sein. Auch du darfst einfach sein!
- Dein wirkliches Problem
Der Veganismus ist nicht das Problem, sondern die Essstörung. Du kannst die vegane Ernährung aufgeben, entscheidend ist aber, dass du die Essstörung aufgibst.
Zu verkünden sich nicht länger vegan zu ernähren, kann eine Nebelkerze sein. Nach außen wird eine Veränderung signalisiert, aber an den essgestörten Gedanken hat sich nichts verändert.
Persönlich finde ich es leichter mich als Omnivore essgestört zu verhalten. Hast du die Auswahl zwischen einem kalorienarmen und einem kalorienreichen Gericht, kannst du stets das mit weniger Energie nehmen.
Als Veganerin entscheide ich stattdessen zwischen Tierleid und kein-Tierleid. Ich ändere lieber mein Leben, als meine Werte.
Überzeugte Veganer*in
Du hast dich intensiv mit deinen Motiven und Gedanken auseinandergesetzt und bist dir sicher, dass dein Veganismus keinen negativen Einfluss auf deine Heilung hat? Aber jetzt stellts du dir die Frage, wie du am besten anfängst? Gibt es einen Fahrplan für eine vegane Recovery? Speisepläne und Empfehlungen?
Wie vegan in der Recovery funktionieren kann und dich als starke Ressource sogar auf deinen Weg unterstützt erfährst du hier.
Fazit: Vegan in der Recovery?
Vegan in der recovery ist nicht einfach. Es gibt zahlreiche Stolpersteine und individuelle sowie allgemeine Faktoren die gegen eine rein pflanzliche Ernährung in der Heilungsphase sprechen. Inwiefern diese dich negativ beeinflussen und dich in deiner Krankheit zurückhalten, kannst nur du wissen. Entscheidend ist radikale Ehrlichkeit. Setzt dich mit deinen Gedanken, Gefühlen und Überzeugungen intensiv auseinander. Es gibt keine pauschalen Empfehlungen. Es ist dein Weg!
Du musst diesen Weg aber nicht alleine gehen. Brauchst du Unterstützung, sprich mit Freunden und Familie. Eine Auswahl professioneller Beratungsstellen findest du in diesem Beitrag.
Gerne kannst du dich auch bei mir melden. Als zertifizierte vegane Ernährungsberaterin, aber vor allem als Betroffene kenne ich die inneren Konflikte und kann dich auf der Suche nach deinem Weg vorurteilsfrei begleiten.
Quellen
- https://tu-dresden.de/med/mf/die-fakultaet/newsuebersicht/magersucht-laesst-die-hirnmasse-schrumpfen-und-daempft-die-kognitive-leistungsfaehigkeit
- https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22230619/
- https://www.karger.com/Article/Abstract/121365
- https://www.dge.de/presse/pm/essen-und-trinken-bei-gicht-1/
- nhttps://www.vegansociety.com/go-vegan/definition-veganism