Raus aus der Essstörung -Aber wie?
Sorry, eine Anleitung wie vegan in der Recovery von deiner Essstörung funktioniert, wirst du hier (und auch woanders) vergebens suchen. Es gibt nicht den ultimativen Masterplan.
Du bist ein Individuum mit einer ganz eigenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Nur du kannst entscheiden, was für dich der richtige Weg ist. Und vor allem, nur du kannst diesen Weg gehen.
Hast du genug von deiner Krankheit, die dir alles genommen hat? Freunde, Genuss, Träume, Freiheit…? Du bist entschlossen dein Leben wieder selbst zu leben und dich nicht länger von der zerstörerischen Stimme der Essstörung kontrollieren zu lassen? Du willst nach deinen wirklichen Werten leben und dich auf den Pfad der Genesung wagen? – Aber wie?
Es gibt zwar leider keine genaue Anleitung, wie vegan in der Recovery funktioniert, aber ich möchte dir trotzdem einige Tipps und Inspirationen an die Hand geben, die dich auf deiner Reise unterstützen und als Wegweiser eine Richtung aufzeigen. Es sind allgemeine Hilfen und Denkanstöße, die mir oder jemanden anders geholfen haben. Ob sie dich in deiner Recovery stärken, kannst nur du entscheiden.
Ob vegan in der Recovery überhaupt der richtige Weg für dich ist und auf welche Stolpersteine du treffen wirst, kannst (und solltest) du hier nachlesen.
Medizinischer Disclaimer: Essstörungen sind multifaktorielle psychische Erkrankungen, die von vielen Faktoren beeinflusst werden. Im folgendem Artikel liegt der Fokus auf Ernährung und Gewicht. Zwei entscheidende, aber nicht ausschließliche Einflussgrößen. Es sind allgemeine Ratschläge, die keine medizinische Beratung oder Behandlung ersetzen können.
Für wen?
Im Folgenden geht es um die Recovery von Magersucht. Der Fokus liegt auf die Möglichkeiten mit einer veganen Ernährung ein für dich gesundes Gewicht zu erreichen und gleichzeitig gestörtes Essverhalten aufzudecken und Alternativen zu finden. Bist du hauptsächlich von Bulimie betroffen, können dir die Tipps ebenfalls zum Teil helfen.
Schluss mit Politik!
Werde nicht zur Politiker*in. Es bringt dir nichts, über deine Heilung zu reden, zu lesen oder nachzudenken wie es sein könnte. Nur wenn du handelst, kannst du etwas verändern. Das heißt nicht, dass du nicht über deine Recovery nachdenken sollst. Es braucht nicht nur einen groben Fahrplan, sondern auch eine Menge Motivation. Die Genesung einer Essstörung ist niemals leicht. Es gibt verdammt schwere Zeiten (aber auch wunderschöne) und es dauert lange. Du wirst nicht ein Verhalten welches monate- und jahrelang deinen Alltag bestimmt hat innerhalb von wenigen Wochen vergessen können.
Um den steinigen und kurvenreichen Weg in ein befreites und genussvolles Leben gehen zu können, brauchst du vor allem einen starken Willen. Hast du diese Stärke?
Selbstverständlich! Du hast dich konsequent gegen deine natürlichen Instinkte gestellt und trotz quälender Leere weiter gehungert. Du hast die gliederzerreißende Kälte ausgehalten und dich, die vollkommende Energielosigkeit ignorierend, zu Höchstleistungen angetrieben.
Dein Verhalten in der Essstörung ist keine besondere Leistung, die es zu bewundern gilt. Aber sie hat dir gezeigt, dass du unglaublich stark bist. Nutze diese Kraft nicht länger, um dich selber zu zerstören. Nutze sie, um für dein Leben und deine Träume zu kämpfen.
Vegan in der Recovery: Allgemeine Tipps
Symptombekämpfung
Einfach mal die Schokolade weglassen, gesünder leben und ein paar Pfunde verlieren… Eine Diät ist in den meisten Fällen der Auslöser für die Abwärtsspirale einer Essstörung. Der Gewichtsverlust und die Lebensmittelrestrektion führen alleine auf der biologischen Basis zu diverse Auswirkungen auf deine Psychen die deine Krankheit verstärken. Unter dem Punkt „Psychische Folgen von Untergewicht“ kannst du nochmal einige nachlesen. Fakt ist aber, das Essen und Nicht-Essen nur Symptome sind. Die Ernährung, die Befreiung von Essenseinschränkungen und wenn nötig die Gewichtszunahme sind wie bereits erklärt entscheidende Faktoren in deiner Recovery. Gleichzeitig zu den hier vorgestellten Tipps ist es wichtig auf die Ursachen deiner Erkrankung zu schauen. Oftmals erfordert das eine professionelle therapeutische Unterstützung.
Das sind nicht deine Tipps
Wie bereits in der Einleitung geschrieben, gibt es keine Ikea-Anleitung. Es gibt keine Bilder, die dich Schritt für Schritt zur Genesung führen. Was es aber gibt, sind Inspirationen die einigen Personen helfen und anderen eben nicht. Such dir raus, was für dich passt und ergänze die Liste um eigene Ideen.
Warum willst du gesund werden?
Der Weg wird nicht leicht. Es gibt zahlreiche Höhen und Tiefen. Ohne einen starken Grund der dich wie ein Rettungsseil aus dem Brunnen tiefster Verzweiflung herausholt, wirst du nicht ans Ziel kommen. Du musst am Anfang noch nicht alle deine Motive kennen. Einige neue Perspektiven werden sich erst im Laufe deiner Genesung zeigen. Wichtig ist aber, dass du Ziele/Träume hast, die dir in schweren Phasen die Richtung zeigen.
Eine Essstörung ist keine Wahl, aber die Erholung ist (d)eine Entscheidung. Übernimm die Verantwortung für dein Handeln. Du wirst nicht geheilt. Du musst selber genesen. Such dir Unterstützung durch Freunde, Familie und Profis. Sie begleiten dich auf deinen Weg. Gehen musst du selber.
Gib nicht auf
Ich möchte dir keine Angst machen, aber es wird nicht leicht und es wird Zeit brauchen. Es wird Tage geben, an denen du dir Wünschst niemals losgegangen zu sein. Tage an denen du zweifelst und dich schlecht fühlst. Aber du wirst immer mehr Momente erleben in denen du das Leben wieder spürst. Du wieder lachen kannst, gesellige Abende erlebst und keinen Gedanken mehr an das Essen oder an dein Gewicht verschwendest. Denk in schweren Zeiten an deine Ziele und Träume und genieße zwischendurch die Recovery. Du hast die Möglichkeit dich intensiv mit dir selber auseinanderzusetzen. Neue Seiten an dir zu entdecken und praktisch gesehen endlich wieder Essen zu dürfen. Spüre die Energie und die Wärme, die zurück in deinem Körper fließen. Sei stolz auf dich für jeden kleinen Schritt nach vorne.
Selbstakzeptanz statt Selbstkritik
Auf einem langen Weg verläuft man sich gelegentlich. Eine falsche Abbiegung, eine extra Runde… Du wirst auch zwischenzeitlich stolpern. Verurteile dich nicht, wenn etwas nicht direkt klappt. Zweifle nicht an dir, nur weil die Essstörungsstimme immer noch so präsent ist. Sieh dich selber als beste Freundin der du Mut zum Weitermachen zusprichst, statt sie für ihre Fehler zu verurteilen.
Recovery-Actiontipps
Ein Plan ist gut. Und aus seinen Fehlern zu lernen ist unersetzlich. Aber entscheidend ist, dass du handelst!
„Es gibt nur zwei Tage im Jahr, an denen man nichts tun kann. Der eine ist Gestern, der andere Morgen.“
(Dalai Lama).
Essen & Ruhe
Viel Essen und viel Ruhe! Dein Körper braucht enorme Energie- und Nährstoffmengen, um sämtliche Schäden reparieren zu können. In der Recovery gibt es kein „zu viel essen“. Auch wenn du dich (besonders am Anfang) voll fühlst. Das Unwohlsein vergeht spätestens nach 1 Stunde. Deine Essstörung bleibt ein Leben lang, wenn du jetzt nicht handelst.
Es ist verlockend. Du isst mehr und spürst die Energie in deinen Körper zurückfließen. Warum nicht noch eine Runde laufen gehen? Oder ein bisschen Krafttraining im Gym?
Dein Körper wird nicht regenerieren, wenn du ihm alle Energie direkt wieder wegnimmst. Und dein Geist noch viel weniger.
Ich bin keine Feindin von Bewegung (und leider auch ein schlechtes Vorbild) aber entgegen der heutigen #Fitspo #1000Schritte und #dailyworkout Mentalität, sind gemütliche Lesestunden auf dem Sofa und chillige Netflixabende deine Medizin.
„Normale“ Menschen rennen mit einem gebrochenen Bein keinen Marathon. Dein gesamter Körper ist gebrochen.
Es kann auch sein, dass du zwischenzeitlich genau das Gegenteil spürst. Statt mehr Energie und Kraft, bist du extrem Müde und Erschöpft. Bevor es besser werden kann, wird es manchmal schlimmer… Denk an die unzähligen Baustellen und die enorme Kraftanstrengung, die dein Körper für all diese Reparaturen aufwendet, und du wirst deine Erschöpfung verstehen.
Wie zuvor: Ruh dich aus und gib deinem Körper was er braucht.
Verpflichte dich zur Genesung
Entscheidungen zu treffen, benötigt enorm viel Energie. Einfacher ist es konkreten Regeln zu folgen. Mit Regeln kennst du dich aus. Zeit für eine paar Neue.

Erholungsregeln
Ein paar weitere Erholungsregeln erleichtern dir den Alltag und du musst nicht jede Stunde auf neue mit dir/deiner Essstörung diskutieren. Diese Regeln sind selbstverständlich individuell und du weißt selber am besten, was dir hilft.
Hier ein paar Inspirationen:
First you!
Nein, es ist weder egoistisch noch narzisstisch. Momentan ist deine Recovery deine wichtigste Aufgabe und du bist (und bleibst) der wichtigste Mensch in deinem Leben. Wenn du die Möglichkeit hast, lass dich bei der Arbeit beurlauben, von der Schule für einige Zeit freistellen oder mach ein Urlaubsemester in der Uni. Verschieb deine Heilung nicht auf „nach dem Abi“, „nach der Klausurenphase“, „nach dem Jahresmeeting…“.
Ich spreche aus persönlicher Erfahrung:
Mit dem Gedanken, unbedingt das Abitur machen zu wollen und mich danach um meine Gesundheit zu kümmern, bin ich in einem katastrophalen psychischen und körperlichen Zustand in die Prüfungsphase gegangen. Ich habe Stunden gebraucht einen einzelnen Text zu lesen. Gemerkt habe ich mir Null. Mein Gedächtnis war nicht mehr existent. Konzentration unmöglich. Zugleich wurde auch meine Essstörung immer schlimmer. Mit Glück und unglaublicher Anstrengung habe ich mein Abitur geschafft. Und danach? Ich war so am Ende, dass ich gar nicht mehr zu einer Therapie in der Lage war. Meine Magersucht hatte die vollkommende Kontrolle übernommen. Von Leistungsgedanken getrieben und der Angst angepeitscht, Zeit zu verlieren habe ich in den folgenden Jahren angefangen zu studieren…und abgebrochen. Und wieder angefangen…Ich weiß nicht mehr wie oft ich ein Studium, eine Ausbildung oder ein Praktikum angefangen und abgebrochen habe. Der Grund war meine Essstörung. Ich war kaum in der Lage zu leben, geschweige zu lernen oder zu arbeiten….
Verschiebst du dein Abitur, deine Uni oder Ausbildung um ein paar Monate, wird diese berufliche Pause in 2 oder 3 Jahren vollkommen bedeutungslos sein. Gleichzeitig wirst du dich in deiner Persönlichkeit enorm weiterentwickeln. Du stellst dich den Herausforderungen der Heilung und wirst innerlich gestärkt und gefestigt aus dieser Phase herausgehen.
Lässt du dich von deinem zerstörerischen Leistungsdenken leiten, verlierts du wertvolle Zeit…und eventuell dein Leben.
Es ist zugegeben eine privilegierte Situation, sich eine Pause nehmen zu können. Hast du keine Möglichkeiten, dich von der Arbeit freistellen zu lassen oder eine „Pause als Mutter“ einzulegen, frag nach Unterstützung von außen. Nimm Hilfe an. Und schaff dir so viel Freiraum wie möglich. Bist du in einer Partnerschaft, ist der Haushalt ab jetzt nicht mehr deine Aufgabe. Lebst du alleine, brauchen deine Fenster nicht alle zwei Tage geputzt werden… Erholung ist anstrengend, verschwende deine Kraft nicht für unwichtiges.
Stationäre Therapie:
Ein Aufenthalt in einer spezialisierten Klinik für Essstörungen kann unglaublich hilfreich sein, um aus festgefahrenen Routinen auszubrechen und sich voll und ganz auf die eigene Heilung konzentrieren zu können. Allerdings ist dieses Thema zu komplex um es an dieser Stelle mit wenigen Sätzen zu analysieren. Der Fokus liegt an dieser Stelle auf die Recovery zu Hause. Gegebenenfalls auch in Anschluss an eine stationäre Therapie, die immer nur der erste Schritt sein kann.
Skills
Suche dir Skills! Nein, ich meine nicht die tollen Soft-Skills, die dich laut selbst ernannten Business Expert*innen in der Ausbildung oder im Beruf an die Spitze katapultieren. Stattdessen biegen wir ab in die Psychotherapie.
Skills sind Techniken bzw. Reize die dir ermöglichen in Hochstressphasen wieder einen kühlen Kopf zu bekommen. Es geht um Emotionsregulierung, die kurzfristig hilft und langfristig nicht schadet.
Statt in Konfliktsituationen erneut zu essgestörten Verhalten zu greifen oder dich anderweitig zu schädigen, nutzt du extrem starke äußere Reize, um kurzzeitig aus der Gedankenspirale auszusteigen und anschließend mit klareren Gedanken neutral deine Konflikte betrachten zu können. Skills helfen effizient, akute Emotionen zu kanalisieren. Hast du dich etwas beruhigt, ist es allerdings wichtig, dass du den auslösenden Konflikt analysierst und eventuell mit professioneller Unterstützung die Hintergründe deiner starken Emotionen erforschst.
Welche Skills in welchen Situationen für dich am wirksamsten sind, kannst du nur durch ausprobieren erfahren. Sinnvoll ist es, sich eine kleine Sammlung aufzubauen, um in kleineren und größeren Stressmomenten adäquat reagieren zu können.
Gewicht und Ernährung
Individuelles Wohlfühlgewicht: Mythos BMI
Dein individuelles Wohlfühlgewicht bestimmst nicht du, sondern dein Körper. Es kann, muss aber nicht im sogenannten „normalen BMI-Bereich“ liegen. In Kürze wird noch ein eigener Artikel zu den Sinn und vor allem Unsinn vom Body-Mass-Index kommen. An dieser Stelle nur ein paar Grundfakten:
Der BMI ist eine Maßzahl die auf den belgischen Astronom und Statistiker Adolph Quetelet zurückgeht (kein Mediziner!) und war ursprünglich nicht als Maßstab zur Einteilung in „gesunde“ und „ungesunde“ Gewichtsklassen gedacht, sondern um Bevölkerungspopulationen zu vergleichen. Erst nach 1970 nutzten US-amerikanische Lebensversicherungen den BMI, um Prämien von Lebensversicherungen zu berechnen. Konkret ging es um Zusatzbeiträge für Personen mit Übergewicht, definiert über den neu eingeführten BMI. Seit 1980 wird der BMI auch offiziell von der WHO genutzt und verbreitet.
Die Grenzen sind relativ willkürlich: Bis 1998 galt ein BMI von 27,5 noch als Normalgewicht.
Der BMI ist zudem diskriminierend: Quetelet nutzte für seine Berechnungen ausschließlich weiße, europäische Männer. Muskel und Fettmasse werden nicht unterschieden, was nicht nur für Leistungssportler*innen problematisch ist. Auch körperspezifische Besonderheiten wie hohe Knochendichte, ausgeprägte Knochen- und Gelenkdurchmesser, größere Schulterbreite etc. bleiben unberücksichtigt.
Im Fazit ignoriert der BMI körperliche Diversität. Das der Body Mass Index überdies ungeeignet ist, gesundheitliche Risiken präzise vorherzusagen, sein nur am Rande erwähnt.1
Gewicht ist kein Verhalten. Entscheidender als die Schwerkraft deines Körpers ist dein individuelles Verhalten.2
Bekommt dein Körper ausreichend Energie und alle Nährstoffe die er braucht? Meidest du Zigarettenqualm und übermäßigen Alkoholgenuss? Schläfst du ausreichend und suchst dir im Alltag Entspannungsinseln gegen den Mainstreamstress?
Sagt dein Gewicht etwas über Lebensqualität aus? Warst du mit deinem niedrigsten Gewicht wirklich glücklicher? Frei von allen Sorgen? Stoppt der Klimawandel, das Artensterben und der Nah-Ost-Konflikt, sobald alle Menschen ein BMI unter 25 erreichen? Suchst du deine Freunde nach deren Körperform aus?
Es gibt Millionen Dinge die wichtiger als das „perfekte“ Körpergewicht sind.
Körperakzeptanz
Stell dir vor, du hättest einen gute Freundin. Diese arbeitet für dich 24 Stunden am Tag und unterstützt dich in allem was wichtig ist. Sie hilft dir zu gehen, zu atmen, zu lachen, zu hören, zu träumen, Dinge zu berühren, Liebe und Zuneigung zu spüren, Essen zu verdauen, Blut durch deine Adern zu pumpen und noch vieles mehr. Sie ist ununterbrochen für dich da.
Und jetzt stell dir vor wie du sie nach all ihrer Unterstützung und Hilfe für dich kritisierst, beschimpfst und ihr physische und psychische Schmerzen zufügst…
Dein Körper ist rund um die Uhr für dich da. Deine Beine tragen dich durch die Welt, Deine Augen erblicken den Regenbogen und deine Ohren lassen dich Musik spüren. Und dafür hasst du ihn?
Bedank dich bei deinen Ohren fürs Hören, bei deinen Augen fürs Sehen, bei deinen Händen fürs Spüren und bei deinen Lungen fürs Atmen. Dein Körper war und ist immer für dich da. Zeit dich bei deiner Freundin zu bedanken.
(In Anlehnung an Andrea Wachter „Do You Hate Your Body?“)
Vegan in der Recovery: Gesund zunehmen
Der zuckerfrei Proteinrigel lässt deinen Bizeps wachsen. Die biologisch erzeugten Haferflocken sorgen dafür, dass du einen schönen Po bekommst. Isst du hingegen vegane Reisschokolade wächst dein Bauch, genauso wie bei fertigen Burgern, Pommes und Eiscreme…
Es ist Unsinn zu denken, dass bestimmte Lebensmittel dafür sorgen, dass du an dieser oder jener Stelle zunimmst und du dadurch deine Körperproportionen kontrollieren kannst. Es gibt kein gesundes oder ungesundes zunehmen. Bist du im Untergewicht und schränkst deine Nahrungszufuhr ein, ist es ungesund. Gibst du deinem Körper die Energie und Nährstoffe die er braucht, ist es gesund.
Alles was du oben in deinem Mund reinführst, wird auf den Weg durch deinen Verdauungstrakt in kleinste Einzelteile zerlegt. Dabei ist es am Ende vollkommen egal ob dein Gehirn Glucose aus einer „ungesunden“ zartschmelzenden Portion Eis oder aus „gesunden“ Haferflocken erhält.
Im Allgemeinen empfehle ich als Ernährungsberaterin die Orientierung an der veganen Ernährungspyramide, mit einigen Ausnahmen. Du bist derzeit so eine Ausnahme.
Gesunde vs. ungesunde Lebensmittel
Auch ich nutze gelegentlich (automatisch) die Begriffe „gesund“ bzw. „ungesund“, um Lebensmittel einzuordnen. Faktisch gibt es aber keine „ungesunden“ Lebensmittel. Was es gibt, sind Lebensmittel die bestimmte Nährstoffe enthalten, von denen dein Körper mehr oder weniger benötigt, um störungsfrei zu funktionieren. Wie viel er von was braucht ist situationsabhängig.
Als Grundlage gibt es Empfehlungen zur Nährstoffversorgung, die du nicht unterschreiten solltest. Nimmst du zum Beispiel zu wenig eisenreiche Lebensmittel zu dir, drohen Müdigkeit und langfristig eine Anämie. Raubst du deinem Körper durch exzessive Bewegung Energie ohne ausreichend nachzuliefern, droht Untergewicht mit allen daraus folgenden Gesundheitsrisiken. Langfristig auch der Tod.
Ob ein Lebensmittel „gesund“ ist, ist folglich situationsbedingt. Läufst du bei brütender Hitze Stunden durch die Saharawüste, ist eine Flasche Cola „gesünder“ als eine Packung Chiasamen.
Gesunde Lebensmittel vs. Gesundheit
Essstörungen sind schwere Erkrankungen. Magersucht ist unter den psychischen Krankheiten die tödlichste. 10 bis 15 Prozent der Erkrankten sterben.
Bist du bereits länger im Untergewicht, kennst du die vielfältigen gesundheitlichen Auswirkungen deiner Krankheit. Ausfallende Haare und brüchige Fingernägel sind neben Herz-Rhythmusstörungen und Osteoporose noch vermeintlich harmlos. Was dein Körper jetzt wirklich benötigt ist Energie, damit er die ganzen Schäden wieder reparieren kann. Zugleich benötigt deine Seele die uneingeschränkte Erlaubnis zu essen. Das bedeutet zu jeder Zeit, und alles worauf du Hunger hast. Eine unsinnige Einteilung von Lebensmitteln in gesund und ungesund führt dich nur geradewegs in die nächste Störung.
Eigene Regeln
Empfehlungen wie 5 Portionen Obst und Gemüse am Tag oder regelmäßig Vollkornprodukte zu wählen, haben ihre Berechtigung. Obst und Gemüse steckt voller wertvoller Vitamine, die dein Immunsystem stärken und deinen Stoffwechsel am Laufen halten. Vollkornprodukte enthalten mehr Ballast- und Mineralstoffe als Weißmehlprodukte. Ebenfalls wichtig für deinen Körper.
Durch dein restriktives Ernährungsverhalten hast du deutlich zu wenig Vitamine und Mineralstoffe aufgenommen. Aber nicht, weil deine Lebensmittel nährstoffarm waren, sondern weil du viel zu wenig und zu einseitig gegessen hast. Das Wichtigste für dich ist erst einmal viel zu essen und ausreichend Kalorien aufzunehmen, um langfristig zuzunehmen. Das funktioniert mit leicht verdaulichen, energiedichten Lebensmitteln einfach besser. Es ist einfacher ein Toast mit Mandelmus zu essen, als 1 Kilogramm Brokkoli. Beschränkst du dich in deiner Auswahl alleine auf vermeintlich gesunde Lebensmittel, wird dein Magen schnell an seine Grenzen kommen und du fühlst dich dauerhaft aufgebläht. Zudem bist du damit weit entfernt von freien und genussvollen Essen. Um mit Sicherheit ausreichend Treibstoff für den Heilungsprozess zu bekommen, stellst du die vegane Lebensmittelpyramide auf den Kopf.
Ernährungsplan?
Um ausreichend in der Recovery zu essen und deinem Körper die benötigte Energie zur Heilung zu geben, gibt es unterschiedliche Wege.
Klassisch und in vielen Kliniken genutzt ist ein Ernährungsplan. Dieser wird mehr oder weniger auf deinen geschätzten Energiebedarf abgestimmt und unterteilt sich zumeist in 3 Hauptmahlzeiten plus 2 bis 3 Snacks. Eingestiegen wird oft mit einer geringen Kalorienzahl. Nimmst du wie zu erwarten durch diesen Plan nicht zu, wird gesteigert. Das heißt, die Portionen werden vergrößert, energiereichere Lebensmittel werden eingebaut, kalorienreiche Getränke integriert oder die Anzahl der Mahlzeiten wird erhöht.
Eine andere Möglichkeit ist der direkte Einstieg mit einer höheren Kalorienzahl. In Studien hat sich diese Variante als überlegen herausgestellt. Im Ergebnis waren die Heilungschancen bei einem höheren Einstiegsplan besser als wenn Betroffene mit einem energiearmen Ernährungsplan starteten.3
Intuitive Ernährung
Eine weitere Möglichkeit ist die intuitive Ernährung. Feste Kaloriengrenzen und penibel abgewogene Mahlzeiten die zu bestimmten Zeiten gegessen werden müssen, haben hier keinen Platz. Gegessen wird nach Hunger und Sättigung. Einschränkungen gibt es keine. Weder in der Art der Lebensmittel noch in der Menge oder in der Zeit. Das Kommando hat dein Körper. Er zeigt dir, was er braucht und du gibst es ihm. Erforderlich ist dafür, dass du genau zuhörst und keine Grenzzäune aufbaust.
Oftmals wird die intuitive Ernährung als „Anti-Diät Bewegung“ gelabelt in der du schlemmen kannst so viel du willst (bzw. dein Körper braucht) und du trotzdem schlank bleibst.
Sorry, aber erlaubst du dir wirklich intuitiv zu essen und auf deinen Körper zu hören, ist das Ergebnis nicht eine Körperform die automatisch in Hosengröße 34 oder 36 passt, sondern dein individuelles Wohlfühlgewicht. Dieses kann wie beschrieben im sogenannten „Normalgewichtsbereich“ liegen oder etwas darüber. Dein optimales Körpergewicht ist in deinen Genen festgeschrieben nicht in der BMI-Tabelle der AOK. Durch extreme Anstrengung in Form von endlosen Diäten und schädlichen Übertraining kannst du natürlich dein Gewicht beeinflussen. Aber willst du diesen Preis zahlen? Dein Leben lang?
Vorteile intuitiver Ernährung
Es gibt keine Verbote. Alles darf so oft und wann immer du willst gegessen werden.
Du hörst auf deinen Körper und er bekommt, was er braucht.
Mit der Zeit pendelt sich dein genetisch bedingtes Wohlfühlgewicht ein.
Du konzentrierst dich auf deine eigenen Bedürfnisse und vergleichst dich nicht mit anderen.
Maximale Spontanität und Flexibilität.
Entspanntes Verhältnis zum Essen und zu deinem Körper.
Heißhunger ade
Durch die intuitive Ernährung gibts du deinem Körper was er braucht und achtest auf deine natürlichen Hunger- und Sättigungssignale. Durch das Fehlen von Einschränkungen, sind auch Heißhungeranfälle auf „verbotene Lebensmittel“ wie Schokolade, Fast Food etc. kein Problem mehr. Schließlich kannst du jederzeit so viel Schokolade essen wie du möchtest. Erst Verbote machen Verbotenes doch so richtig interessant.
Im Artikel über Extremhunger erfährst du mehr über äußere Kontrolle und innere Balance.
Warum intuitive Ernährung (noch) nicht für dich funktioniert
Auf seinen Körper zu hören und nach den eigenen Bedürfnissen zu leben, statt sich an starre und allgemeine Ernährungsgebote zu orientieren, ist ein mit Sicherheit ein erstrebenswertes Ziel. Aber eben nicht der Weg. Zumindest am Anfang.
Bestimmt erst seit wenigen Monaten deine Essstörungsstimme was und wieviel du essen darfst und dein Gewicht ist noch nicht zu stark gefallen, kannst du es auch von Anfang an mit intuitiven Essen versuchen. Im Allgemeinen empfehle ich aber einen stufenweisen Einstieg. Warum?
Refeeding-Syndrom
Das Refeeding-Syndrom ist eine Kombination aus lebensbedrohlichen Symptomen, die in Folge der Wiederernährung nach einer langen Zeit der Einschränkung und der Unterversorgung mit Energie und Nährstoffen auftreten kann.
Hier erfährst du mehr über das Refeeding-Syndrom.
Es ist wichtig, dass du dich vor deiner Recovery über das Refeeding-Syndrom informierst um gesundheitliche Risiken zu vermeiden.
Biologie
Ein weiterer Grund, der ebenfalls mit deinem Körper zusammenhängt ist dein Verdauungstrakt. Magen-Darm Probleme gehören zu den häufigsten Symptomen bei der Wiederernährung.
Kaum mehr an Nahrung gewöhnt, ist dein Verdauungstrakt geschrumpft und anfangs bereits mit „normale“ Nahrungsmengen überfordert. Du fühlst dich sehr schnell gesättigt. Blähungen und Übelkeit und eine deutlich verlangsamte Magenentleerung (Gastroparese) kommen hinzu und lassen dich in den Glauben, bereits genug gegessen zu haben. Durch Hormonverschiebungen ist zudem die endokrine Steuerung von Hunger und Sättigung gestört.
Kurzum, dein Körper kann dir noch keine sicheren Signale senden, die dir zeigen was er braucht. Hörst du auf die Pseudosättigung deines geschwächten Magens, wirst du automatisch zu wenig essen.4
Am Anfang der Recovery wirst du oftmals über deinen Hunger hinaus essen müssen. Nur so kannst du dein Ziel, Gewicht zuzunehmen, erreichen.
Extremhunger
Statt von einem anhaltenden Völlegefühl behindert zu werden verwandelt sich dein Bauch in ein schwarzes Loch. Du hast scheinbar unstillbaren Hunger. Selbst nach mehreren Schüsseln Müsli, Muffins, Waffeln und Schokoriegel fühlst du dich maximal für einige Stunden gesättigt, nur um anschließend wieder von deinem Hunger angetrieben weiter zu essen…
Was es mit diesen extremen Hungergefühl auf sich hat, warum du es als Geschenk annehmen solltest und wie du diese Phase am besten überstehst, kannst du hier ausführlich nachlesen.
Die Essstörungsstimme
Einfach essen…wäre es so leicht, würdest du keinen Beitrag mit dem Namen „Vegan in der Recovery“ lesen, sondern einfach zum Bäcker gehen und dir ein veganes Schokobrötchen holen.
Deine Essstörungsstimme verschwindet leider nicht mit deinem Entschluss endlich gesund werden zu wollen.
Im Gegenteil, sie wird umso lauter, je mehr du dich für ein freies Leben und gegen ihre Kontrolle stellst.
Zu Beginn wirst du ihr leises Flüstern und ihr lautes Geschrei bei jedem Bissen hören. Du musst dich immer wieder gegen deine essgestörten Gewohnheiten und für neue und unbekannte Wege entscheiden. Dir einfach die Erlaubnis zum Essen zu geben klingt fantastisch, wird aber nur mit einem soliden Plan und viel Durchhaltevermögen funktionieren. Erst mit der Zeit wirst du die zerstörerische Stimme der Essstörung von den wirklichen Bedürfnissen deines Körpers und deiner Seele unterscheiden lernen
Und Jetzt?
Freiheit mit Stützrädern
Einen festen Plan mit genauen Kaloriengrenzen, um zu lernen deine Ernährung und deinen Körper nicht länger zu kontrollieren, ist wie mit Waffen Waffengewalt zu bekämpfen… Aber intuitive Ernährung funktioniert scheinbar auch (noch) nicht…
Nimm dir das Beste von beiden Optionen.
Du gestaltest dir am besten ,mit professioneller Unterstützung, einen groben Fahrplan. Vorzugsweise schriftlich. Darin legst du in einem Teil deine allgemeinen Recovery-Regeln fest (siehe oben).
In dem anderem Teil bestimmst du für dich sinnvolle Vorgaben fürs Essen und körperliche Aktivitäten/Sport.
Du kannst dir entweder von Anfang an überlegen, wie lange dein Regelwerk erstmal gültig sein soll oder du gestaltes es dynamisch. Das bedeutet nicht, täglich deine eigenen Vorgaben so zu ändern, wie es am komfortabelsten ist, sondern an deinen Herausforderungen selber zu wachsen.
Einige Dinge, die du dir in den ersten Wochen deiner Recovery noch nicht einmal vorstellen magst, sind nach 6 oder 8 Wochen eventuell nur noch Kleinigkeiten.
Deine Ernährungsleitlinien sind deine Stützräder, bis du lange genug geübt hast, um frei zu fahren.
Wie diese Ernährungsstützräder aussehen könnten und wie du Hindernisse am besten umfährst, erfährst du im zweiten Teil „Vegan in der Recovery: Ernährung„.
Fazit
Du kannst weiterhin Recovery-Tipps suchen, inspirierende Geschichten von Genesenen lesen und nach Studien zu den neuronalen Hintergründen deiner Essstörung suchen, es bringt dich nicht weiter, solange du nicht selber handelst. Es ist Zeit, deine eigene Genesungsgeschichte zu schreiben!
Du musst diesen Weg nicht alleine gehen. Freunde, Familie und Therapeut*innen sind an deiner Seite, wenn du es zulässt.
Ich bin weder Ärztin noch habe ich eine therapeutische Ausbildung. Aber ich weiß wie schwer jeder einzelne Schritt raus aus der Essstörung ist. Ich kenne die toxische Stimme der Essstörung und das Ringen um jeden Zentimeter Freiheit. Gerne begleite auch ich dich ein Stück auf deinen Weg und unterstütze dich dabei das Vertrauen in deinen Körper neu zu entdecken und das Leben wieder genießen zu können.
In einem kostenlosen Vorgespräch können wir uns kennen lernen und gemeinsam Ressourcen aufspüren, die dich auf deiner Reise stärken.