Extremhunger

Extremhunger in der Recovery -Was jetzt?

Du hast dich für ein freies und selbstbestimmtes Leben ohne Essstörung entschieden. Du willst nicht länger hungern, frieren und isoliert von der Welt, anderen Menschen beim Lachen, Leben und Genießen zuschauen? Mit Mut und Entschlossenheit beginnst du deine Recovery und isst wieder mehr?

Aber plötzlich hast du Hunger. Nein, nicht etwas Hunger, sondern ein unstillbares Verlangen nach Nahrung. Es fühlt sich an, als könntest du niemals satt werden. Du isst. Und isst. Und isst noch mehr und kannst trotzdem an nichts anderes als Essen denken. Wie in einem schwarzen Loch, verschwinden Schüsseln voll Müsli, Kuchenstücke und Kekse, Nudelaufläufe und Schokoriegel in deinem Bauch… Erst wenn du wirklich alles gegessen hast, was dein Körper verlangt, hört es auf. Nur um nach einiger Zeit wiederzukommen.

Extremhunger in der Recovery fühlt sich wie der komplette Kontrollverlust an. Extremhunger ist radikal, bedingungslos, beängstigend und vor allem eine natürliche Reaktion deines Körpers.

Wie du mit Extremhunger in der Recovery am besten umgehst und wann er aufhört, erfährst du im Folgendem.

Bevor du in deiner Recovery von 0 auf 100 durchstartes, informiere dich bitte zuvor über das Refeeding-Syndrom.

 

Was ist Extremhunger?

Extremhunger ist gekennzeichnet durch dem Verzehr großer Nahrungsmengen in kurzer Zeit. Wie beschrieben, scheint dein Sättigungsgefühl vollkommen außer Kraft gesetzt zu sein. Deine Gedanken kreisen ums Essen. Ablenkung ist unmöglich.

Beim Extremhunger geht es nicht um das Hungergefühl nach einem großen Salat oder einer „riesigen“ Portion Gemüse. Das dein Körper von derartigen Sachen nicht genährt ist, liegt nahe. Es geht um richtige Nahrung. Mengen von 5000 bis 10000 Kalorien sind keine Seltenheit.

Der Fokus liegt in der Regel auf ehemals „verbotene Lebensmittel“. Süßes und herzhaftes mit vielen Kohlenhydraten und Fett. Genau das was dein Körper und deine Seele jetzt brauchen.

Extremhunger in der Recovery kann dich betreffen, muss es aber nicht.

Einige Personen kämpfen in der Genesung mehr mit einem permanenten Völlegefühl und bleiben von scheinbar unkontrollierbaren Hungergefühlen „verschont“. Die Mehrheit erlebt Extremhunger aber. Vor allem nach längeren Phasen des Verzichts, einem sehr eingeschränkten Ernährungsverhaltens, übermäßiger körperlicher Anstrengung und weiteren kompensierenden Tätigkeiten. Im Untergewicht ist Extremhunger zwar wahrscheinlicher, nicht selten tritt er aber auch auf, wenn du (bereits) im „offiziellen“ Normalgewicht bist. Ein klarer Hinweis, dass dein Körper sich noch nicht erholt hat.

 

Was Extremhunger nicht ist

Extremhunger ist kein Bing Eating. Auch wenn es sich zeitweise so anfühlt. Bing Eating ist eine psychosomatische Erkrankung mit vielen Ursachen. Extremhunger ist eine natürliche Reaktion deines Körpers auf extreme Unterversorgung und Restrektionen. ich von „unkontrollierbaren“ Essen schreibe, verlierst du beim Extremhunger anders als beim Bing Eating nicht die Kontrolle.

Beim Bing Eating essen Betroffene weit über ihr Hungergefühl hinaus. Sie versuchen ihre Gefühle mit Unmengen Nahrung zu betäuben oder sich durch Essanfälle selber zu bestrafen. Der Geschmack und vor allem die Bedürfnisse des Körpers sind unwichtig.

Beim Extremhunger hast du wirklich Hunger. Nach einiger Zeit mag sich dein Bauch zwar durch die Nahrungsmengen spannen, trotzdem spürst du weiterhin das Bedürfnis deines Körpers nach Nahrung.

Zudem bist du dir deiner Handlung bewusst. Es ist kein Kontrollverlust, sondern die Entscheidung, deinem Körper zu geben was er braucht. Es ist zwar nicht die aktive Entscheidung für den Extremhunger. Aber durch der Entschluss, den Extremhunger zuzulassen ist die klare Entscheidung gegen die Essstörung und für dein Leben.

Angst vor Extremhunger: Meine Erfahrungen

Die Beschreibungen hören sich zugegeben beängstigend an. Kontrollverlust, Unmengen Essen bis der Bauch wehtut und nie zu wissen, ob und wann er zuschlägt. Klingt abschreckend. Warum erzähle ich dir das?

Ich will dich vorbereiten und beruhigen, damit du nicht dieselben Fehler wie ich machst und dadurch noch Monate oder Jahre in deiner Essstörung gefangen bleibst.

Mit ca. 14 Jahren fing die Magersucht bei mir an. Mit 16 Jahren gab es eine kurze Zeit der Besserung. Kurz vor dem Abitur rutschte ich richtig ab. Mit meinem Abitur in der Tasche, aber ohne jegliche Zukunftsperspektiven zog ich nach Dortmund. Dort angekommen versuchte ich zuerst vergeblich in einem körperlich vollkommen desolaten Zustand eine Lehrstelle zu finden. Erfolglos. Somit verbrachte ich meine Tage mit hungern, Bewegung und frieren. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich einfach nicht mehr konnte. Der Entschluss gesund werden zu wollen nahm endlich Gestalt.

Interessanterweise waren meine ersten Schritte aus der Krankheit stark mit dem Veganismus verbunden. Zum damaligen Zeitpunkt noch Vegetarierin besuchte ich den Vegan Street Day. Ein Straßenfest mit Infoständen rund um Tierrechte und jeder Menge Stationen zum Probieren. Von veganen Eis, über Falafel bis hin zu veganen Döner. Alles was das Herz begehrt. Erfüllt von dem Gedanken, dass es beim Essen nicht um Kalorien geht, sondern um das Wohl der Tiere, unsere Umwelt, soziale Gerechtigkeit und Gemeinschaft, gab ich mir an diesem Tag die Erlaubnis zum Essen. Und ich aß. Viel! Ohne das Gefühl jemals wieder satt werden zu können, probierte ich sämtliche veganen Leckereien aus, die ich mir jahrelang verboten hatte.

Auch in den folgenden Tagen und Wochen war mein Hunger riesig und unstillbar. Ich machte mit große Salatschüsseln voll mit Müsli, Nudeln oder Kartoffeln. Nussmus löffelte ich aus dem Glas. Die selbstgemachten Falafel (Familienpackung) waren in einer halben Stunde verschwunden.

Ich verstand nicht mehr was mit mir los war. Anfangs konnte ich das Essen und die neue Freiheit noch genießen. Aber bereits nach kurzer Zeit meldete sich meine Essstörung zurück: „Du wirst nie mehr aufhören können und noch dicker als früher. Du hast keine Magersucht mehr, sondern Bing Eating“. Ich war verzweifelt. Von Extremhunger hatte ich bis dato noch nie etwas gehört, sodass ich der Stimme meiner Essstörung glaubte und dachte, direkt ins Bing Eating zu rutschen.

Zu diesem Zeitpunkt entschloss ich mich für eine stationäre Essstörungstherapie. Nicht wegen meines immer noch extremen Untergewichtes…. Ich hatte Angst weiter zu essen.

Eine stationäre Therapie kann unglaublich hilfreich sein. Ein späterer Aufenthalt in einer anderen Klinik hat mir nicht nur das Leben gerettet, sondern auch das Fundament für meinen Heilungsweg gelegt.

Mein Klinikaufenthalt 2012 allerdings hat dazu geführt, dass sich mein Heilungsweg erst Jahre später wieder aufnahm.

Das Konzept der Klinik war zu den damaligen Zeitpunkt eine einseitige Fixierung auf Kalorien und vorgegebenen Essensplänen. Für jede Mahlzeit waren die exakten Kalorienvorgaben einzuhalten. Ein Löffel mehr Marmelade zum Frühstück war genauso verboten wie einer weniger. Die natürlichen und individuellen Bedürfnisse des Körpers wurden dabei vollkommen missachtet. Stattdessen wurde vermittelt, dass nur mit Hilfe eines kontrollierenden Befolgens des Essplanes eine Genesung möglich wäre…

Kurzum die Kontrolle der Essstörung sollte durch weiter Kontrolle ersetzt werden. Ein Fragwürdiges Ziel…

 

Um wieder zu den eigentlichen Thema zu kommen:

Hätte ich 2012 von dem Extremhunger gewusst und verstanden, dass mein unbändiger Hunger eine natürliche Reaktion meines Körpers ist, hätte ich mir eventuell einige weitere Jahre mit der Essstörung sparen können.

Ich will dich mit den Schilderungen eines Gefühl unkontrollierbaren und nicht zu stillenden Hungergefühls nicht von deinem Genesungsweg abschrecken, sondern dich vorbereiten und dir Sicherheit geben, dass es normal ist und vor allem, dass der Extremhunger auch wieder verschwindet.

 

Ursachen für Extremhunger

Extremhunger ist eine Folge der Ignoranz gegenüber deinen Bedürfnissen. Eine radikale Antwort auf monate- und jahrelanger Ausbeutung. Und zugleich eine Hilfe für dich. Denn dein Körper zeigt dir deutlich, was er braucht. Extremhunger ist der Schrei deines Körpers nach Nahrung.

Auf der körperlichen Ebene entsteht Extremhunger durch Energie- und Nährstoffmängel. Bei Essstörungen ebenso wie bei einschränkenden Diäten bekommt dein Körper zu wenig von dem was er braucht. Er reagiert auf einem Mangel und will diesen jetzt, wo er durch deinen Entschluss zur Genesung eine minimale Chance auf Erfolg wahrnimmt, schnellstmöglich beheben.

Dein mentaler Hunger jedoch reagiert nicht auf den Füllstand deines Magens. Deinem mentalen Hunger ist es egal, ob diese super gesunde Gemüsebowl eigentlich alle wichtigen Nährstoffe enthält.

Zu lange wurde dein mentaler Hunger vom Bauch belogen. Mit etlichen Salatblättern hast du ihn gefüllt, ohne dass du ausreichend Energie bekommen hast. Du hast dir Genuss verboten. Keine Kekse. Bloß kein Fett. Eventuell ein paar Apfelscheiben…. Du weißt, dass es viel zu wenig war.

Dein Körper ist während deiner Krankheit auf Überlebensmodus gesprungen: Wichtige Organe versorgen. Alles andere ist überflüssig. Vor allem Emotionen kosten unnötig Energie.

Lange hast du funktioniert ohne zu leben. Ohne zu genießen. Dein Körper spürt, dass du jetzt wieder bereit zum Leben bist und hilft dir. Er zeigt dir, was er braucht, um wieder funktionieren zu können und dir dein Lachen, deine Spontanität und deine Lebensfreude wiederzubringen. Deine Aufgabe ist es, ihn zuzuhören.

 

Aber…

Du zweifelst? Du hast Angst, doch von dem einem Extrem ins andere zu rutschen? Vom Untergewicht geradewegs ins Bing Eating?

Eventuell hilft dir ein wenig Mathematik. Zahlen sind dir vertraut. An dieser Stelle sind die genauen Zahlen unwichtig. Sie dienen nur als Beispiel.

Stell dir vor eine Person isst 1 Jahr nur 1000 Kalorien täglich. Ihr Körper braucht aber eigentlich 3000 Kalorien. Für das Gehirn, die Muskeln, die Lunge jede Bewegung und jedes Lachen. 

Im Ergebnis bedeutet das ein Minus von 730.000 Kalorien pro Jahr.

In 5 Jahren schuldet sie ihrem Körper 365.000 Kalorien.

Das sind 398 Tafeln Schokolade. Oder 1197 vegane Burger von McDonalds. Zusätzlich!

Selbstverständlich funktioniert dein Körper nicht nach dem Prinzip Kalorien rein, Kalorien raus. Aber das Beispiel verdeutlicht dir, wie deine Essstörung in den Monaten und Jahren der Unterversorgung das riesige Loch in dein Bauch gegraben hat, was dein Körper jetzt zu füllen versucht.

Nicht berücksichtigt sind dabei die unzähligen schönen Momente, die du durch deine Einschränkungen verpasst hast. Momente der Geselligkeit, der Spontanität und des Genusses.

Ich will nichts beschönigen. Der Extremhunger ist beängstigend und fühlt sich selten gut an. Überlege dir, was die Alternative ist.

 

Was denkst du?

„Ich fühle mich schlecht so viel zu essen und habe Angst dick zu werden“

Diese Angst ist dir bekannt. Es ist die Stimme deiner Essstörung, die dich schon lange begleitet. Sobald du deine Kaloriengrenze minimal überschritten hattest, meldete sich deine Essstörung und verteufelte dich als gefräßig und undiszipliniert.

Der Unterschied zu deinen Zustand in der Recovery ist aber du weißt, dass es besser wird.

Der Extremhunger wird aufhören und du hast die Chance zu einem intuitiven Ernährungsverhalten zu finden. Du lässt dich nicht durch kranke Gedanken kontrollieren, sondern hörst auf deinen Körper. Achtsamkeit gegenüber deinen Bedürfnissen ermöglicht es dir, dein individuelles Wohlfühlgewicht zu erreichen.

 

„Ich denke nur noch an Essen und kann mich nicht konzentrieren.“

Ja, die Gedanken sind penetranter als Mücken im Schlafzimmer.

Unaufhörliche Gedanken ums Essen kennst du. Jetzt gibt es aber eine Kerze am Ende des Tunnels. Du musst durch den Tunnel durch. Am Ende werden die Gedanken aber Stück für Stück abnehmen und Platz für dein Leben machen. Erreicht dein Körper den Zustand der Heilung, gibt es keinen Grund mehr ständig ans Essen zu denken.

 

„Es ist unnormal so viel zu essen.“

Es war genauso „unnormal“ so wenig zu essen. Der Extremhunger hilft dir, dauerhaft in ein „normales“ Leben zurückzufinden. Ein Leben mit Genuss. Du wirst wieder Zeit haben, dich mit Freunden zu treffen. Energie für die Ausbildung und die Arbeit haben. Du kannst wieder Freude und Begeisterung spüren…  Vergleich dich nicht mit anderen. Weder während noch nach deiner Recovery.

„Normalität“ ist meiner Meinung nach an relativer Begriff. Es gibt kein „normal“ an sich. Ein „normales“ Leben bedeutet für mich ein selbstbestimmtes Leben. Ich treffe Entscheidungen, nicht meine Essstörung.

 

Wann endet der Extremhunger?

Wenn dein Körper dir wieder vertrauen kann. Aktuell sind die Erinnerungen an Verzicht und Unterversorgung zu aktuell. Mit jeder Mahlzeit, die du ausgelassen hast, oder die nicht deinen Bedarf entsprach warst du im Energiedefizit. Du hast Schulden gemacht. Traust du einer Person, die sich immer wieder Geld leiht, aber nichts zurückgibt? Traust du einer Person die sich immer wieder Geld leiht aber nur gelegentlich ein paar der Schulden begleicht?

Es braucht Zeit, um Vertrauen wieder aufbauen zu können. Und besonders braucht es regelmäßig positives Feedback. Erst wenn dein Körper weiß, dass er nicht mehr um sein Überleben kämpfen muss und sich auf die regelmäßige bedürfniserfüllende Nahrungszufuhr verlassen kann, wird der Extremhunger enden.

Ob es einige Wochen oder eher Monate dauert, ist individuell unterschiedlich und durch keine Merkmale festzulegen. Vermutlich wird es nicht von heute auf morgen enden. Aber in einem langsamen Prozess wirst du spüren, wie die Gedanken ums Essen weniger werden. Die Phasen, in denen du dich wirklich gesättigt fühlst werden länger. Und irgendwann, wird dir dein Körper wieder vertrauen und wissen, dass du dich gut um ihn sorgst. Dafür musst du aber zuerst lernen, deinem Körper zu vertrauen.

Missbrauche das Vertrauen nicht. Dein Körper ist durch die Monate und Jahre der Unterversorgung sehr sensibel geworden. Schränkst du dich erneut ein, wird der Extremhunger zurückkehren. Lass dich nicht in den Teufelskreis aus Essen und Hunger zurückziehen.

Rückwärts gehen ist keine Option, wenn dein Ziel das Leben ist!

Extremhunger: Meine 7 Tipps an dich

1.Extremhunger zulassen

Extremhunger ist eine natürliche Reaktion deines Körpers und ein wichtiger Teil deiner Genesung. Dein Ziel ist ein befreites Leben. Intuitive Ernährung. Im Einklang mit deinen Bedürfnissen leben.

Lass alle Einschränkungen los. Kämpfst du gegen deinen Körper an, wir der Extremhunger noch stärker.

Drittes Bewegungsgesetz nach Newton: „Kraft gleich Gegenkraft: Eine Kraft von Körper A auf Körper B geht immer mit einer gleich großen, aber entgegen gerichteten Kraft von Körper B auf Körper A einher“


2. Keine Tricks

Du hast Hunger auf einen Schokoriegel. Du entscheidest dich für einen Proteinrigel mit Schokogeschmack. Was passiert? Der Gesunde Teil in deinem Kopf weiß, dass es nicht das Richtige war. Es war eine klare Entscheidung gegen deine Bedürfnisse. Dein Essstörungsstimme wird dich zugleich anschreien, dass es falsch war den Proteinrigel zu essen. Zu viele Kalorien…

Es gibt kein Dazwischen! Du entscheidest dich entweder für die Genesung und damit für den extremen Hunger oder du wählst die Essstörung mit allen Konsequenzen. 

Vergiss Tageszeiten!

Dein Extremhunger kennt keine Uhr. Manchmal wirst du vierleicht auch nachts von deinem Hunger geweckt. Deine Genesung endet nicht um 20 Uhr. Dein Körper arbeitet 24 Stunden für dich. Sei du auch 24 Stunden für ihn da.


3. Uneingeschränktes essen

Uneingeschränktes essen ist das was der Begriff sagt. Ohne Einschränkungen! Vorsätze wie „Ich esse Kuchen, aber nur 1 Stück“ werden dich nicht weiterbringen. Du betrügst deinen Körper um seine Bedürfnisse genauso wie wenn du einen Proteinrigel statt eines Schokoriegels isst. 

Vertraust du hingegen auf die Kompetenzen deines Körpers, wird er mit der Zeit auch wieder dir vertrauen können und der Extremhunger verwandelt sich in einen weniger intensives Hungergefühl, in einfachen Hunger und letztendlich in normalen Appetit.

Erst wenn etwas knapp erscheint, wird es wirklich interessant. Die Klopapierkriese in der Coronazeit ist der beste Beweis. 2019 war das kollektive Hamstern von Klopapierrollen noch undenkbar. Sobald in der Pandemie das Gerücht des Mangels aufkam, rasteten die Menschen aus und warfen sich aggressiv auf die Letzten Packungen des wertvollen Gutes.


4. Keine Kompensation

Du lässt deinen Extremhunger zu. Du beschränkst dich weder in der Lebensmittelauswahl noch in der Menge oder der Zeit…aber der Extremhunger wird einfach nicht weniger?

Sei ehrlich zu dir. Wie viel bewegst du dich? Mehrmals die Woche ins Gym? Oder „nur“ stundenlange Spaziergänge? Es gibt viele Möglichkeiten mehr oder weniger bewusst gegen den Extremhunger anzukämpfen. Bewegung ist eine elegante und darum so heimtückische Form.

„Bewegung ist doch gesund.“ „Ich fühle mich besser, wenn ich Sport mache“… Glaube mir, ich kenne die unzähligen Ausreden doch noch eine Runde spazieren zu gehen oder etwas Krafttraining zu machen. Letztendlich verlängerst du damit dein Leiden. Du verhinderst nicht nur die Regeneration deines Körpers. Du hältst auch unnötig den unangenehmen Zustand des extremen Hungers aufrecht. Zusätzlich bleibst du mit deinen Handlungen im Gedankengebäude der Essstörung gefangen.


5. Essen verdienen

Muskeln statt Fett aufbauen. Körperkontrolle und Disziplin.

Durch Sport im Untergewicht schädigst du massiv deinen Körper. Durch die monate- und jahrelange Unterversorgung hat sich dein Herzmuskel zurückgebildet. Überanstrengst du es durch exzessive Training, sind langfristige Schäden oder akute Notfälle nicht auszuschließen. Nicht anders sieht es mit deinen Knochen und Gelenken aus.

Dein Körper ist mit vollem Einsatz dabei, sämtliche Schäden zu reparieren. Da ist weder Zeit noch Kapazität frei, um einen Sixpack oder Bodybuilding-Arme aufzubauen.

Das sich die Gewichtszunahme in den ersten Monaten vor allem um die Bauchregion herum bemerkbar macht, ist ein natürlicher Prozess. In deiner Körpermitte sind die wichtigen Organe. Diese müssen zuerst geschützt werden. Nach spätestens 1 Jahr, wird sich das Gewicht aber gleichmäßig verteilt haben.1      Auch ohne Bodyforming oder Bauch, Bein Po Training.

Das Sport im Untergewicht gefährlich ist, heißt nicht, dass du im Normalgewicht direkt loslegen kannst oder musst. In der Regel ist obsessiver Bewegungsdrang ein ausgeprägtes Symptom deiner Essstörung. 

Falls du also weiterhin Sport missbrauchst, um „Essen zu dürfen“ – Stop it!


6. Gewichtszunahme akzeptieren

Spoiler: Du wirst zunehmen. Wie viel, kann ich dir nicht sagen. Aber die Gewichtszunahme ist ein wichtiger Teil deiner Recovery. Je eher du dich von super schlanken Schönheitsidealen verabschiedest, umso einfacher wird es. Erst wenn dein Körper das für ihn optimale Gewicht erreicht hat, wird der Extremhunger aufhören. Dein individuelles Wohlfühlgewicht kann im offiziellen „normalen“ BMI-Bereich liegen (20-25), aber auch darüber. Dein Körper ist schlauer als jede Statistik, jedes Berechnungstool und jede App. Er weiß, was für ihn am besten ist. Er entscheidet wieviel er braucht.

Oftmals kommt es im Verlauf der Recovery zu dem Phänomen des „Überschießens“. Dabei erreichst du ein Gewicht, was etwas über deinem natürlichen Individualgewicht liegt. Das ist notwendig, damit dein Körper alle Schäden reparieren kann. Nach einigen Monaten pendelt sich dein Gewicht aber rund um deinen individuellen Optimalbereich ein.2  

Wichtig! Manipuliere dein Gewicht nicht durch Diäten und erneute Einschränkungen. Du wirst genau da landen, wo du dich mühevoll herausgeboxt hast. Willst du ernsthaft alle deine Erfolge aufgeben und nochmals durch die Hölle gehen?

In den ersten Tagen wird dein Gewicht schneller steigen. Vieles davon ist zunächst Wasser, dass sich einlagert. Mit der Zeit wird dein Körper auch einen erheblichen Teil der aufgenommenen Nahrungsenergie schlicht verheizen. Dein Stoffwechsel beschleunigt sich. Die Nebenwirkung ist hauptsächlich, dass du nicht länger frieren musst.


7. Don’t be ashamed

Schäme dich nicht! Weder für deinen Hunger, noch für das Essen oder deine Gefühle. Wie mehrfach erklärt ist dein Hunger eine natürliche Reaktion deines Körpers. Mit dem Essen, zeigst du die vernünftigste Antwort auf diesen Vorgang.

„Was sollen die Leute von mir denken, wenn sie wüssten, dass ich neben den Kühlschrank stehe und ein ganzes Glas mit Erdnussbutter auslöffelst“

Glaubst du, ein Arzt der im OP Leben rettet, macht sich Gedanken darüber wie lächerlich er mit seiner grünen Schürze und medizinischen Maske aussieht?

Es geht um dein Leben!

Achte in der Phase des extremen Hungers besonders auf ressourcenfördernde Tätigkeiten. Lenk dich zwischendurch mit einem Hobby von unguten Gedanken nach dem Essen ab.

Fürchtest du Kommentare von deinen Mitmenschen, kannst du entweder offen mit ihnen über deine Situation reden oder sie schlicht ignorieren und deine Zeit mit unterstützenden Menschen verbringen.

Deine Zeit

Wie lange der extreme Hunger andauert ist individuell unterschiedlich und nicht vorhersagbar. Nimm dir die Zeit, die dein Körper braucht. Brichst du frühzeitig ab, weil es „zu lange dauert“, fängst du wieder von vorne an.

Dein Leben steht in dieser Zeit nicht still. Anfangs ist die Versuchung groß, sich einfach zuhause in sicherer Umgebung und nahe beim Essen zu verkriechen. Aber durch die neue Energie wird automatisch der Wunsch entstehen, wieder mehr erleben zu wollen. Deine Interessen an ehemaligen Hobbys werden zurückkehren oder du entdeckst ganz neue Aktivitäten. Fühlst du dich durch soziale Kontakte noch überfordert, triff dich mit vertrauten Personen, die deine Lage kennen und sich nicht scheuen dich durch schwierige Zeiten zu begleiten.  

Kleine Helfer bei Extremhunger

Trag weite Kleidung

Es ist super unangenehm, wenn die Hose den Bauch eindrückt oder das T-Shirt spannt. Kleidung aus deiner Essstörungsvergangenheit die zu klein ist, kannst du spenden oder verkaufen. Oversizes-Shirts und gut dehnbare Hosen sind eine Wohltat. Geld für neue, bequeme Kleidung auszugeben ist eine profitable Investition in deine Zukunft.

Wärmflasche, Tee und Magentabletten

Dein Bauch wird sich öfters melden. Magendruck und Blähungen sind nicht selten. Eine schöne Wärmflasche ist ein absolute Wundermittel. Leichte Bauchmassagen helfen ebenfalls. Persönlich habe ich auch mit diversen verdauungsfördernden Tees (Anis-Fenchel-Kümmel, Kamille oder Pfefferminze) gute Erfahrungen gemacht. Zur Not kannst du auch Magentabletten mit Pfefferminzöl und ähnliches nutzen. Auf chemischer Basis helfen Wirkstoffe wie Simecticon und Dimeticon. Von DM und Abtei gibt es vegane Varianten (keine Werbung).

 

Essen

Ja tatsächlich wird dir Essen bei deinen Magenproblemen helfen. In deiner Essstörung wurde auch dein Verdauungssystem massiv beschädigt. Durch regelmäßiges Essen wird es sich mit der Zeit erholen. Vor allem Probleme wie Verstopfungen usw. werden deutlich besser.

 

Atmen

Persönlich nicht mein Fachgebiet, sollen Atemübungen ebenfalls hilfreich sein. Besonders bei Angstzuständen.

 

Gedanken

Die Psyche hat einen großen Einfluss auf unsere Verdauung. Nicht wenige Menschen bilden sich Nahrungsmittelunverträglichkeiten einfach nur ein und reagieren auf Laktose und Co., weil sie denken, dass sie es nicht vertragen. Auch wenn es schwer ist, versuche ruhig und mit dem Wissen über die Notwendigkeit des extremen Hungers zu Essen.

 

Freundschaft mit dir

Behandle dich selbst wie eine gute Freundin/einen guten Freund. Es ist kein leichter Weg und es wird Höhen und Tiefen geben. Tränen sind keine Seltenheit. Verzweiflung, wie lange es noch dauert wird dich begleiten. Und immer wieder der Gedanke: „Mache ich das Richtige?“.

Zeige Mitgefühl mit dir. Verlange in der Zeit der Genesung keine großen Leistungen in Schule, Uni oder bei der Arbeit. Dein Job ist es aktuell gesund zu werden.

Und: Sei stolz auf dich! Auf jeden Bissen Nahrung. Auf jede Träne, die dir die schreiende Stimme der Essstörung zuwirft, weil du endlich gegen sie und für dich handelst. Du weißt, dass du für dein Zukunft kämpfst.

Extremhunger - Fazit

Extremhunger ist extrem. Personen die es nicht selber erlebt haben, werden es nicht nachvollziehen können. Die Verzweiflung, die Zerrissenheit und gleichzeitig die Hoffnung.

Extremhunger ist eine natürliche Reaktion deines Körpers, der dir hilft, gesund zu werden. Nimm diese Hilfe an und bleibe nicht auf halben Weg stehen.

 

Du kannst noch viele weitere Erfahrungsberichte und Studien zum Extremhunger lesen. Videos von Betroffenen anschauen oder Podcast hören. Aber helfen wird es dir nur, wenn du selber handelst.

Nur du kannst deine Situation verändern! Zeit deine eigene Genesungsgeschichte zu schreiben.

Alleine musst du diesen Kampf aber nicht kämpfen. Freunde, Familie und Therapeut*innen können dich unterstützen.

 

Gerne kannst du dich auch bei mir melden. Ich bin weder Ärztin noch habe ich eine therapeutische Ausbildung. Aber ich habe Erfahrungen. Ich bin einen ähnlichen Weg gegangen und kann dich auf deinen ein Stück begleiten.

Quellen:

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