Essstörungen: Eine Übersicht

Eine Übersicht verschiedener Essstörungen in einem vegan Blog?

Tatsächlich gibt es immer wieder Stimmen, die den Zusammenhang zwischen Essstörungen und einer veganen Ernährung betonen.

Es ist wichtig, die Fakten hinter derartigen Behauptungen zu prüfen. Auch durch meinen eigenen jahrelangen Kampf gegen eine Essstörung ist mir die Aufklärung über die Ursachen, die Auswirkungen und die Heilung von Essstörungen eine besondere Herzensangelegenheit.

Da das Thema sehr komplex ist, gibt es in diesen Beitrag zunächst ein grobe Übersicht verschiedener Essstörungen. Ob es einen Zusammenhang zwischen einem gestörten Essverhalten und Veganismus gibt, kannst du hier nachlesen.

Essstörungen allgemein

Laut dem Bundesministerium für Gesundheit sind Essstörungen unter den Top Ten der chronischen psychischen Störungen im Erwachsenenalter.1

Den Anfang haben Essstörungen aber zumeist bereits im Kinder- und Jugendalter. Nach Zahlen des Robert-Koch-Institutes hatten bereits 2008 fast 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren ein auffälliges Essverhalten. Mädchen waren im Durchschnitt doppelt so häufig betroffen wie Jungen.2 Seitdem sind die Zahlen aber rasant angestiegen. Zuletzt haben besonders die Auswirkungen der Corona-Pandemie die Zahl der Betroffenen in die Höhe getrieben.3

Die vielen Gesichter einer Essstörung

Nach dem ICD (Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) wurden 2019 Essstörungen in 6 Kategorein unterteilt:

Anorexia nervosa (Magersucht), Atypische Anorexia nervosa, Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) und Atypische Bulimia nervosa, Essattacken bei anderen psychischen Störungen (z.B. Bing Eating) und die Kategorie sonstige Essstörungen unter denen unter anderem das Pica-Syndrom gefasst wird.

Die Gemeinsamkeiten

Das Essen bzw. Nicht-Essen ist nur ein Symptom. Für Nicht-Betroffene ist es oftmals schwer zu begreifen. Einer Magersüchtigen wird schnell der goldene Rat gegeben einfach zu essen. Beim Bing Eating muss die Person einfach etwas „disziplinierter“ sein und sich nicht mit allem „vollstopfen“.

Obwohl die Berichterstattung zu Essstörungen in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist, sind Vorurteile und Unwissen weit verbreitet.

Daher der wichtigste Merksatz für Außenstehende: „Essstörungen sind schwere seelische Erkrankungen.“

Der Blick hinter den Vorhang

Essen, Schlafen und die regelmäßige Benutzung des besonders in Deutschland wertgeschätzten Toilettenpapieres sind Grundbedürfnisse des Menschen. Essen gibt uns Energie. Unser Frühstücksmüsli ist praktisch der Treibstoff für den Tag. Nicht nur für sportliche und geistige Leistungen. Nein, bereits wenn du nur daliegst und atmest, braucht dein Körper Energie, die er aus deinen Linsensalat und den letzten Schokokeks zieht. Das jemand einfach das Essen und damit seine Lebensgrundlage verweigert, klingt daher paradox.

Und das ist es auch. Essstörungen sind nicht logisch. Zumindest nicht für Außenstehende. Die Betroffenen bauen sich eine ganz eigene Welt auf, in der sie nach ihrer Logik handeln bzw. nach der der Essstörung.

Am Ziel vorbei

Mit dem Essen regulieren die Betroffenen ihre Emotionen. Die meisten kennen den Stresskeks bei der Arbeit oder die Trostschokolade nach einer Trennung. Bei Essgestörten wird die Nahrungsaufnahme zur Hauptbewältigunsstrategie für Probleme. Je nach primärer Erkrankung werden durch den Verzicht auf Nahrung oder die unkontrollierte Aufnahme Gefühle betäubt und überdeckt. Erbrechen wird als Ventil genutzt, um Stress, Überforderung und Selbstzweifel das Klo herunter zu spülen. Die exzessive Beschäftigung mit dem eigenem Essen bewahrt davor, sich mit den eigentlichen Problemen und Gedanken auseinanderzusetzen.

Who is who der Essstörungen

Jeder Mensch ist ein einzigartiges Mosaik vielfältiger Teile. So zeigen sich auch die Symptome einer Essstörung sehr individuell, ähnlich wie bei einer Erkältung. Manche Personen leiden unter der laufenden Nase und krampfhaften Hustenanfällen. Andere sind gepeinigt durch pochende Kopfschmerzen und bleierner Müdigkeit. Dennoch gibt es gemeinsame Schnittmengen.

Übersicht unterschiedlicher Essstörungen

Magersucht

Anorexia nervosa, so der fachlich korrekte Name, ist durch Magermodels und soziale Medien die wohl bekannteste Essstörung und die sichtbarste.  

Dünne Gestalten, hervorstehende Knochen, blasse Gesichert und hoffnungslose Augen. Das klassische Bild der Magersucht ist erschreckend und trägt die inneren Verletzungen sichtbar nach außen.

Eine simple Diät verbunden mit den Gedanken etwas abzunehmen und sich gesünder zu ernähren ist in vielen Fällen der Eingang zur Hölle. Die Ursachen einer Magersucht sind sehr individuell und komplex.

Von allgemeiner Überforderung, brutalen Selbstzweifeln, Missbrauchserfahrungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, selbstzerstörerischen Perfektionismus, unverarbeiteter Trauer bis hin zu der Angst erwachsen zu werden und den Bedürfnis nach Aufmerksamkeit… Selten gibt es nur den Einen Grund.

Startpunk ist oft die Pubertät. Aber Magersucht hat schon lange das Image als Krankheit junger Frauen mit Modelwunsch verloren. In meinen eigenen Klinikaufenthalten waren 8-jährige Jungen genauso betroffen wie die junge Lehramtsstudentin und die 75-jährige Großmutter.

Getrieben von der Vorstellung „zu viel zu sein“ werden (kalorienreiche) Lebensmittel gemieden, der Körper durch Sport und ständiger Bewegung bis weit über seine Grenzen gepeitscht und die Zahl auf der Waage entscheidet über kurze Glücksmomente und tiefster Verzweiflung.

Das Gefühl für den eigenen Körper verschwindet mit jedem verlorenen Gramm mehr. Unfähig die eigene Abmagerung zu sehen, dominieren Lügen und Verleugnung vor allem den Beginn der Essstörung.

Bei der Vermeidung zu essen, wird dieses zum Mittelpunkt des Lebens. Magersüchtige beschäftigen sich obsessiv mit ihrer Ernährung. Die übrige Welt verschwindet hinter Kalorientabellen, Essritualen und den Kochen und Backen von aufwendigsten Menüs für Familie und Freunde, von denen die Betroffenen selber zumeist nicht ein einzigen Bissen essen.

Die eigene Nahrungsaufnahme wird detailliert geplant und vorbereitet. Durch die Benutzung kleiner Teller und Schüsseln wird die Winzigkeit der Mahlzeiten versucht zu verdecken. Selbst das Essen eines halben Apfels kann sich über eine Stunde hinziehen in der Hoffnung dadurch den quälenden Hunger zumindest für kurze Zeit zu betäuben.

Die körperlichen Folgen der Magersucht sind vielfältig und vor allem tödlich. Langfristig sterben 10 bis 15 Prozent der Betroffenen. Nach Monaten und Jahren des Hungerns erscheint einigen der Tod als letzter Ausweg.

Das Herz schlägt unregelmäßig, der Blutdruck sinkt, Schwindel und Ohnmachtsanfälle folgen. Hormonstörungen, Osteoporose, Nierenschäden bis hin zum Abbau von Gehirnsubstanz. Für Betroffene allgegenwärtig ist besonders das ständige Frieren, sodass selbst im Sommer ein Pullover nicht mehr ausreichend wärmt. Dazu kommen die Büschel an Haaren die bereits nach kurzer Zeit ausfallen, trockene Haut mit der Neigung zu Ekzemen und flaumige Gesichts- und Rückenbehaarung (Lanugohaare).

Wunden heilen kaum und der Körper ist bedeckt mit unzähligen blauen Flecken.

Angehörige sehen nicht nur den körperlichen Verfall der Leidenden, sie riechen ihn auch. Aus Energiemangel heraus, fängt der Körper an, sich selber zu verdauen, wobei ein faulig-stechender Geruch ausgeströmt wird, der auch durch Duschen und Baden nicht zu beseitigen ist.

Nicht weniger gravierend sind die psychischen Folgen. Durch die obsessive Beschäftigung mit ihrer Ernährung und stundenlangen Bewegungsprogrammen ist weder Zeit noch Energie für soziale Kontakte übrig. Treffen mit Freunden werden verschoben, um noch eine Runde Laufen zu gehen. Kino oder gar Restaurantbesuche sind undenkbar. Magersüchtige sind oft zerrissen zwischen den Wunsch in ihren Sorgen und Nöten gesehen zu werden und gleichzeitig ungestört ihren Zwängen folgen zu können.

Dazu kommt auch seelisch eine „dünne Haut“. Bereits kleinste Probleme werfen die Hungernden aus der Bahn. Abwechselnd reagieren sie mit kindlicher Hilflosigkeit und aggressiver Abwehr.

Durch die Unterernährung wird das Gehirn in einem Ausnahmezustand versetzt, da es sich auf die wichtigste Aufgabe konzentriert: Überleben!

Durchschnittlich beansprucht dein Gehirn ganze 20 Prozent der insgesamt zu Verfügung stehenden Energie. Um die zu bekommen werden sämtliche „überflüssige“ Faktoren ignoriert. Sowohl körperlich wie auch seelisch. Emotionen wie Glück, Trauer oder Freude verschwinden. Die Hungernden stumpfen ab. Werden zu einem Schatten ihrer selbst. Unfähig ihre wahren Gefühle begreifen zu können. Geschlagen von der endlosen leere und Hoffnungslosigkeit versinken sie früher oder später in schweren Depressionen bis hin zum Wunsch zu sterben.  

Unter allen psychischen Erkrankungen ist die Magersucht die tödlichste. Ohne Unterstützung und Therapie chronifiziert sich die Anorexie. Nicht selten kommt es auch zu einem fließenden Übergang in die Bulimie.

Bulimie

Rein äußerlich sind Personen mit Bulimie im Gegensatz zu Magersüchtigen oft unscheinbar. Einige Betroffene mit einer Mischform aus rigiden Fastentagen und schweren bulimischen Phasen sind zwar deutlich untergewichtig, viele pendeln aber zwischen leichten Untergewicht und Normal- bzw. Übergewicht*.

Auslöser und Ursachen sind ähnlich denen der Anorexie.

 

*Bei der Verwendung der Begriffe „Unter- Normal- und Übergewicht“ beziehe ich mich zum leichteren Verständnis auf die offizielle Einteilung der WHO. Berücksichtige bitte das Gewicht sehr individuelle ist und es keinen Sinn ergibt deinen Körper nach vorgegebenen Zahlen einordnen zu wollen.

Der Einstieg erfolgt meist über einschränkende Diäten, getrieben von den Wunsch den Körper zu kontrollieren und den gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Durch tagelanger Unterernährung und starken Energiedefizit, reagiert der Körper mit der Ausschüttung von Hungerhormonen. Was „Normale“ in Form von gelegentlichen Heißhungerattacken kennen, wird zu einem zerstörerischen Abwärtsstrudel aus Fressattacken und Erbrechen.

In kürzester Zeit werden große Mengen an Lebensmitteln aufgenommen. Bis zu 10.000 Kalorien innerhalb von einem Anfall sind möglich. Anfangs sind es oft die ehemals verbotenen Lebensmittel wie Süßigkeiten und Fast Food. Schnell wird aber alles gegessen was in greifbarer Nähe ist. Gestoppt werden kann erst, wenn gar nichts mehr geht.

Langsam erwachend aus dem tranceähnlichen Kontrollverlust, überwältigen Schuldgefühle und Selbstekel die Betroffenen. Es folgt fast automatisch der Gang zur Toilette, um zu erbrechen und dabei nicht nur das Essen, sondern auch die Emotionen und Selbstzweifel loszuwerden. Auf das kurze Gefühl der Erleichterung folgt nicht selten eine weitere Essattacke.

Zwischen 1 bis 3-mal pro Woche bis hin zu mehrmals täglich tritt der Kreislauf aus Kontrollverlust, übermäßigen Essen und anschließenden Erbrechen auf.

Neben dem Erbrechen werden auch andere kompensatorische Maßnahmen wie Abführmittel, exzessiver Sport oder Fastentage genutzt.

Unwissenden scheint das Erbrechen von Mahlzeiten im ersten Moment eine „elegante“ Lösung, um schlank zu bleiben und gleichzeitig unbedarft schlemmen zu können. Zumindest solange es keiner mitbekommt.

Die Folgen von Bulimie sind aber verheerend und alles andere als elegant. Bei Betroffenen ist der Wunsch nach Schlankheit in der Regel auch nur ein Ausdruck schwerer seelischer Verletzungen.

 

Obwohl Bulimie von offizieller Seite als „weniger tödlich“ als die Magersucht angesehen wird, haben die gesundheitlichen Folgen ein enormes Selbstzerstörungspotential.

Durch das Erbrechen und die Verwendung von Abführmitteln kommt es zu Elektrolytverschiebungen. Als Folge treten Muskelkrämpfe sowie Herzrhythmus- und Kreislaufstörungen auf. Die Nieren können geschädigt werden und Entzündungen der Bauchspeicheldrüse führen zu starken Schmerzen.

Im Alltag sind vor allem die ausgeprägte Müdigkeit, Schwellungen im Gesicht, geplatzte Adern in den Augen wie auch regelmäßige Ohnmachtsanfälle prägend.

Durch die Magensäure kommt es zu Verätzungen des Rachens und der Speiseröhre und zu massiven Zahnschäden, die bei langjähriger Bulimie in der Regel in Zahnverlusten enden. Wie bei der Anorexie treten Hormonstörungen und der Verlust der Libido und Veränderungen des Gehirns auf. Auch die Kosten von teilweise mehreren hundert Euro pro Monat für die Essattacken, belasten die Betroffenen und führen zu weiteren Stresssymptomen, die mit Essen und Erbrechen beantwortet werden.

 

Genau wie der Körper, leidet auch die Seele. Die großen Gewichtsschwankungen durch Essattacken und Fastenperioden sind für die Betroffenen schwer zu ertragen. In Folge der Beschäftigung mit ihrem Essen und den Scham und Schuldgefühlen, isolieren sich Bulimiker*innen und leiden unter Einsamkeit und innerer Leere. Damit einher gehen depressiven Phasen und nicht selten weitere selbstschädigende Verhaltensweisen wie der Missbrauch von Alkohol, Drogen und

BIng Eating

Obwohl Bing-Eating erst 1994 offiziell als eigenständige Essstörung eingestuft wurde, ist sie mit ca. 2 Prozent die häufigste Essstörung. Wie bei der Bulimie ist aber von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

Frauen sind deutlich häufiger als Männer betroffen. Zwar ist ein Großteil der Bing Eater übergewichtig, aber nicht jeder und jede mit Adipositas leidet unter Bing-Eating.

 

Das Symptom der wiederkehrenden Essanfälle mit der schnellen Aufnahme sehr großer Nahrungsmengen und den Gefühl des kompletten Kontrollverlustes, ist dem der Bulimie ähnlich. Allerdings werden nach dem Essen trotz massiver Schuldgefühle und Selbstekel keine Gegenmaßnahmen wie Erbrechen, Sport oder Abführmittel genutzt. Die Essanfälle werden so weit möglich geheim gehalten.

 

Die Ursachen für Bing-Eating sind vielfältig und keine Folge von mangelnder Selbstbeherrschung! Der Einstieg erfolgt wie bei den anderen Essstörungen häufig über einschränkende Diäten. Dazu kommen Probleme die eigenen Gefühle anzuerkennen und Emotionen wie Trauer, Wut oder Angst durch gesunde Techniken auszudrücken bzw. zu regulieren. Einsamkeit und innere Leere sind bereits vor den ersten Essanfällen prägend. Auch Missbrauchserfahrungen in der Kindheit und Mobbing können zu unkontrollierbaren Essattacken führen.

 

Übergewicht und die damit einhergehenden möglichen gesundheitlichen Probleme sind die offensichtlichen Folgen. Dazu kommt es unter anderem zu sozialer Isolation, Depressionen und Angststörungen. Nicht zuletzt durch gesellschaftliche Ideale leiden Bing Eater unter fehlenden Selbstwert. Kommentare von außen zu ihren Übergewicht und ihrer „Disziplinlosigkeit“ führen dazu, dass Betroffene erst relativ spät ihre Essanfälle als psychische Erkrankung wahrnehmen und Hilfe in Anspruch nehmen.

Pica-Syndrom

Das Pica-Syndrom ist den Meisten eher unbekannt und ist im Gegensatz zu den bereits beschriebenen Essstörungen selten. Die Ursachen unterscheiden sich zudem stark von denen einer Magersucht oder Bulimie.

Oftmals sind Menschen mit einer geistigen Behinderung, mit einer Entwicklungsstörung oder mit Demenz betroffen. Auch bei Schwangeren kann das Pica-Syndrom zeitweise auftreten.

Die Betroffenen essen dabei Dinge, die teilweise bizarr und ungenießbar sind und nicht als eigentliche Nahrung genutzt werden. Beispielsweise verzehren sie Erde, Papier, Kreide oder sogar Kot.

Die Folgen sind akut gefährlich. Es kann zu Vergiftungen, Verletzungen der Speiseröhre und des Magen-Darm-Traktes oder zu einem Darmverschluss kommen. Langfristig droht Unterernährung.

 

In vielen Fällen wird die Ursache in einem Gehirndefekt gesehen. Allerdings kann das Pica-Syndrom auch als Folge eines extremen Nährstoffmangels auftreten.

Bei Kindern können unter anderem auch emotionale stark belastenden Situationen wie die Trennung der Eltern, Vernachlässigung und Misshandlungen das Auftreten des Pica-Syndroms begünstigen.4

 

Die Behandlung ist auf Grund der eingeschränkten Reflexionsmöglichkeiten vieler Betroffener schwierig. Neben den akuten Eingreifen in Form der chirurgischen Entfernung von gefährlichen Gegenständen im Magen und Darm, ist eine langjährige Verhaltenstherapie als wirksam einzustufen. Beruht das Pica-Syndrom primär auf einem Nährstoffmangel, sollten entsprechende Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden.

Diagnosekriterien Essstörungen

Atypische Essstörungen

Die Grenzen zwischen Anorexie und Bulimie sind fließend. Teilweise wechseln sich auch Episoden der einen Essstörung mit denen einer anderen ab.

Offiziell gibt es einige Diagnosekriterien die zur Einordung genutzt werden. Aber das Leben eines Menschen lässt sich nicht in einigen Stichpunkten abbilden. Selbst wenn einige Gemeinsamkeiten sichtbar sind, bleiben Menschen mit ihren Geschichten Individuen. Trotzdem ist das Denken in Schubladen in der Medizin weit verbreitet. Personen mit starken Untergewicht, Angst vor der Zunahme und einem ausgeprägten Bewegungsdrang werden in die Schublade „Anorexia nervosa“ eingeordnet. Personen mit Essattacken und anschließenden Erbrechen sind offiziell Bulimiker*innen…usw.

 

Nicht selten passen aber die offiziellen Diagnosekriterien nicht vollständig. Was jetzt? Einfach eine neue Schublade ausdenken.

Die sogenannten Atypischen Essstörungen. Von einer atypischen Magersucht wird beispielsweise gesprochen, wenn Personen die offiziellen Diagnosekriterien wie die extreme Angst vor einer Gewichtszunahme und das gestörte Körperbild erfüllen aber einen „normalen“ BMI zwischen 19 bis 25 haben.

Bei Bulimiker*innen wird die Häufigkeit des Erbrechens genutzt, um atypische Fälle einzuordnen. Bei weniger als 2 Essattacken mit anschließenden Erbrechen pro Woche, gelten Betroffene als atypisch bulimisch. Ohne Erbrechen als atypische Bing Eater. Teilweise wird aber auch Bing-Eating als atypische Bulimie eingestuft.

 

Atypische Essstörungen erscheinen harmloser. Für die Betroffenen ein Vorurteil mit schweren Folgen. Die eigene Not anzuerkennen und sich Hilfe zu suchen, fällt mit dem Stempel „atypisch essgestört“ nochmals schwerer.

Obwohl es für Nicht-Betroffene schwer zu begreifen ist, haben viele Essgestörte Hemmungen sich professionelle Hilfe zu suchen, denn sie denken „nicht krank genug zu sein“. Der Beginn eines weiteren gefährlichen Teufelskreises, bei den die Leidenden ihre Essstörung nochmals exzessiver ausleben und noch mehr abnehmen oder erbrechen, um Hilfe wirklich verdient zu haben. 

Orthorexie

 Die pathologische Beschäftigung mit der eigenen Ernährung und die Angst durch bestimmte Lebensmittel zu erkranken, wird als Orthorexie bezeichnet. Da ein orthorektisches Essverhalten besonders oft mit der veganen Ernährung in Verbindung gebracht wird, kannst du hier genau nachlesen, was es damit auf sich hat.

Der Weg zurück ins Leben

Erster Schritt

Entscheidend ist, dass die Betroffenen ihre Erkrankung selber wahrnehmen und den Wunsch entwickeln gesund zu werden. Nicht selten dauert es Jahre und manchmal Jahrzehnte, bis das Leiden so groß wird, um die Angst vor Veränderungen zu überwinden und die ersten Schritte aus der Krankheit raus zu gehen.

Ohne äußere Unterstützung ist der lange und beschwerliche Weg der Heilung nicht möglich.

Oft sind es Familienmitglieder oder Freunde die Betroffene in ihren Ängsten ernst nehmen und sie durch Zuhören und motivierenden Worten stützen. Auch praktische Hilfestellungen wie die Suche nach einem ambulanten oder stationären Therapieplatz sind wichtig.

Professionelle Hilfe

Besonders bei langjähriger Krankheit ist die professionelle Begleitung durch Fachkräfte in der Regel notwendig. Ob ein stationärer Aufenthalt in einer spezialisierten Klinik für eine erste intensive Betreuung sinnvoll erscheint, ist nur im Einzelfall einzuschätzen. Bei Magersucht wird oftmals die Ausprägung des Untergewichtes als Indikator genutzt. Dabei wird ignoriert, dass das Gewicht nichts über die Schwere der Erkrankung aussagt. Selbstverständlich ist aber ein extrem niedriger BMI lebensgefährlich und benötigt schnelles Eingreifen. Ebenso mehrmals tägliches Erbrechen oder der exzessive Missbrauch von Abführmitteln, da durch Elektrolytverschiebungen die Gefahr eines Herzstillstandes besteht.

 

Die beste Therapie?

Sowohl stationär wie auch ambulant werden verschiedenste Therapiemöglichkeiten angeboten. Von Verhaltenstherapie über Gesprächs- und Körpertherapie bis hin zu Hypnose-, Kunst- und Musiktherapie… Oftmals werden auch verschiedene Ansätze kombiniert.

Die Eine besonders erfolgreiche Therapieform gibt es nicht.

Begleitend werden die Grundzüge einer genussvollen und bedarfsdeckenden Ernährung vermittelt. Und die Normalisierung des Gewichtes angestrebt.

Essentiell ist, dass das Essen, die Abmagerung bzw. das Übergewicht und das Erbrechen nur Symptome für schwere innere Konflikte sind. Symptomfreiheit bedeutet daher noch lange keine Heilung.

 

Ist vollständige Heilung möglich?

Der Heilungsweg ist schwer und kann sich mit vielen Rückschlägen und noch mehr Neuanfängen über Jahre ziehen. Aber was ist das Ziel?

Mit Essen wieder vollständig unbeschwert umgehen zu können? Nach Hunger und Sättigung essen und keine Kalorien mehr zu zählen? Den Körper so anzunehmen wie er ist? Oder nur soweit möglich das „Normalgewicht“ wieder herzustellen und so viel zu essen, dass es auch gehalten wird?

Es gibt Stimmen die Behaupten eine vollständige Heilung und der unbeschwerte Umgang mit Essen wäre nach einer Essstörung nicht mehr möglich. Man müsse damit lernen damit zu leben.

Auf der anderen Seite gibt es viele ehemalige Betroffene die genau das Gegenteil sagen und leben.

Ein freies Leben, mit Höhen und Tiefen aber losgelöst von Gedanken an das Essen und Nichtessen.

 

Ja, aber…

Persönlich glaube ich an die Möglichkeit einer vollständigen Genesung und einem von Esszwängen befreiten Leben. Mit Sicherheit haben ehemalige Betroffene ein erhöhtes Risiko wieder Rückfällig zu werden. Schließlich war bei ihnen Essen als Lösungsstrategie lange Jahre „erfolgreich“. Zudem gibt es klare genetische Komponenten, die die Erkrankung an eine Essstörung wahrscheinlicher machen. Praktisch so etwas wie spezielle Magersuchts- oder Bulimie-Gene, welche durch entsprechende Umweltfaktoren wie Familienprobleme und gesellschaftliche Einflüsse angeschaltet werden.

 

Zwangseinweisungen

Fehlt die Selbsteinsicht und die Angst vor einem Leben nach der Krankheit überwiegt, können Kinder und Jugendliche durch ihre Erziehungsberechtigten auch unter Zwang in eine psychosomatische Einrichtung untergebracht werden.

Bei über 18-jährigen ist eine Zwangseinweisung in der Regel mit hohen Hürden verbunden. Ohne ausreichenden Grund, in diesem Fall der Gefährdung des eigenen Lebens, dürfen in Deutschland Erwachsene nicht zwangsweise in einer Klinik untergebracht werden. Formal muss ein Richter die Zwangseinweisung anordnen.

Wie sinnvoll eine erzwungene Krankenhauseinweisung/Einweisung in die Psychiatrie ist, erscheint sehr fraglich. Mit Sicherheit gibt es Fälle, in denen den Betroffenen zunächst das Leben gerettet wird, da sie in einem so schlechten gesundheitlichen Zustand sind, dass ein Abwarten womöglich mit dem Tod bezahlt würde.

Eine Zwangseinweisung kann immer nur die allerletzte Option sein. Auch wenn die Betroffenen in ihrer Krankheit teilweise nur noch ein eingeschränktes Reflexionsvermögen besitzen und die Gefahren ihrer Erkrankung vollkommen unterschätzen, sollte der Fokus auf Zusammenarbeit und Vertrauen gelegt werden. Nur so besteht die Hoffnung auf langfristige Erfolge.

Aber der erste Schritt aus der Essstörung muss immer der eigene Wunsch nach Heilung sein.

Und Jetzt?

Angehörige: Wie du helfen kannst

Beobachtest du bei Freunden oder Familienmitgliedern Symptome eines gestörten Essverhaltens, ist Reden die beste Möglichkeit um sie zu unterstützen. Suche in einem ruhigen Moment den Kontakt. Vermeide es die Person direkt beim Essen auf ihr Verhalten anzusprechen, da solche Situationen Betroffene in der Regel überfordern. Stell bitte keine eigenen Diagnosen oder konfrontiere die Person mit deinen Vermutungen, sondern frag nach ihrem Befinden. Ob sie über etwas reden möchten oder sie Hilfe brauchen.

Es kann einige Zeit vergehen, bis Essgestörte bereit sind, über ihre Erkrankung zu reden. Lass ihnen diese Zeit.

Tatenlos zusehen musst du allerdings nicht. Informiere dich über mögliche Hilfsangeboten (siehe Adressen) in deiner Nähe und überlege, ob du auch selber Hilfe benötigst. Auch für Freunde und Angehörige ist es eine Herausforderung die Not und den körperlichen Verfall ihrer Liebsten zu sehen.

Betroffene: Du bist nicht alleine

Nimmt das Essen und Nicht-Essen bei dir selber eine zentrale Rolle im Leben ein? Bestimmt die Zahl auf der Waage dein Selbstwertgefühl? Nutzt du Essen, um deine Gefühle zu regulieren? Dein Leben und deinen Körper zu kontrollieren?

Sprich mit Freunden und deiner Familie. Auch Frauenberatungsstellen oder die Caritas bieten unkomplizierte Möglichkeiten Kontakt aufzunehmen und mit jemanden außerhalb des Bekanntenkreises über deine Sorgen zu reden. Alle Angebote sind freiwillig und die erste Kontaktaufnahme kann in der Regel anonym erfolgen, sodass du die Möglichkeit hast, dich unverbindlich zu informieren.

Selber habe ich jahrelang gegen eine Essstörung gekämpft und weiß, wie schwer der Weg zurück ins Leben sein kann. Gerne kannst du Kontakt zu mir aufnehmen und wir schauen gemeinsam, wie du die ersten Schritte zurück in ein freies, genussvolles und selbstbestimmtest Leben gehen kannst.

Adressen:

ANAD-Mail- und Videoberatung:

Unkomplizierte, kostenlose und anonyme Möglichkeit für Betroffene und Angehörige Fragen zum Thema Essstörung zu stellen und über ihre Probleme zu reden.

https://www.anad-dialog.de/online-beratung.html

 

 

Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen

Telefonische- und Videoberatung für Betroffene und Angehörige. Kosten: 35€ (ermäßigt: 15 €). Dienstags von 15 bis 16 Uhr kostenfreie Jugendsprechstunde.

https://essstoerungen-frankfurt.de/beratung/#Beratungsgeshotline

 

Landesfachstelle Essstörung NRW

Informationen und Links zu Hilfsangeboten in Nordrhein-Westfalen.

https://www.landesfachstelle-essstoerungen-nrw.de/vernetzung-und-hilfen

 

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung – Essstörungen

Zahlreiche Informationen zu Essstörungen. Online- und Telefonberatung. Sowie Links zu Hilfsangeboten in deiner Nähe.

https://www.bzga-essstoerungen.de/

 

TelefonSeelsorge:

24-Stunden erreichbar. Kostenlose Möglichkeit mit jemanden über deine Sorgen zu reden.

Telefonisch: 0800 1110111 oder 0800 1110222

Per Mail: https://online.telefonseelsorge.de/

Quellen

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